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Die Liliputanerstadt in der Vergangenheit des Märchenparks

Titelbild Beispielbild Gullivers Reisen KI generiert

Die Liliputanerstadt im Holiday Park in Haßloch, Rheinland-Pfalz, war eine kontroverse Attraktion, die von 1971 bis 1996 existierte. Sie war Teil des Freizeitparks, der seit 1971 von einer Familie Schneider betrieben wurde. Die Familie Schneider betrieb zuvor einen sogenannten „Liliputaner-Zirkus“ und integrierte diese Idee in den Park, indem sie eine „Liliputanerstadt“ schuf, in der kleinwüchsige Menschen als Attraktion ausgestellt wurden. Im Folgenden wird die Geschichte, der Aufbau, die gesellschaftlichen Auswirkungen und die Schließung dieser Attraktion ausführlich beschrieben, unter Berücksichtigung der verfügbaren Quellen.

Der Holiday Park entstand aus dem ursprünglichen Märchenpark Haßloch, der 1970 von der Familie Schneider gekauft wurde. Die Familie hatte bereits seit Generationen einen „Liliputaner-Zirkus“ betrieben, in dem kleinwüchsige Menschen in Varieté-Shows auftraten. Mit dem Kauf des Parks wurde dieser Zirkus in eine feste Attraktion umgewandelt: die Liliputanerstadt. Diese bestand aus Wohnwägen, die wie kleine Häuser gestaltet waren und mit Glasfronten versehen waren, so dass Besucher die Bewohner bei alltäglichen Tätigkeiten wie Essen, Schlafen oder Putzen beobachten konnten. Die Attraktion war von Anfang an ein zentraler Bestandteil des Parks und wurde als „Liliputanerstadt“ vermarktet, ein Begriff, der auf die fiktiven Bewohner der Insel Liliput aus Jonathan Swifts Gullivers Reisen (1726) anspielt.



Die Liliputanerstadt wurde 1971 eröffnet, als der Park unter dem Namen „Pfälzer Märchenpark“ neu gestartet wurde. 1973 erhielt der Park seinen heutigen Namen Holiday Park. Neben der Liliputanerstadt gab es weitere Attraktionen wie die Holzachterbahn „Wilde Maus“ und eine Delphinshow, aber die Liliputanerstadt war eine der Hauptattraktionen. Der Park wuchs von ursprünglich 70.000 m² auf über 400.000 m² (Stand 2015) und entwickelte sich zu einem der größten Freizeitparks Deutschlands.

Der Begriff „Liliputaner“ gilt heute zu Recht als diskriminierend, da er kleinwüchsige Menschen auf eine fiktive, märchenhafte Weise darstellt.

Die Vermarktung der Liliputanerstadt war stark auf Sensationslust ausgelegt. Ein Beispiel ist die Geschichte der „kleinsten Familie der Welt“, drei türkische Geschwister mit Körpergrößen von 76, 85 und 96 Zentimetern, die 1977 in den Park kamen und als Attraktion beworben wurden. Der Park verbreitete die romantische Erzählung, diese Geschwister seien „plötzlich vor den Toren des Holiday Parks“ erschienen und hätten um Aufnahme gebeten, was die Realität – eine gezielte Anwerbung durch Talentsucher in Europa – verschleierte.

Die Bewohner hatten kaum Privatsphäre. Eine ehemalige Bewohnerin berichtete, dass selbst Krankheit oder persönliche Momente öffentlich waren. Nach einer Weisheitszahnoperation zog sie die Gardinen ihres Wohnwagens zu, doch Besucher klopften weiterhin an die Scheiben. Um schlafen zu können, stopfte sie sich die Ohren mit Taschentüchern zu. Diese Schilderungen verdeutlichen die entwürdigenden Bedingungen, unter denen die Bewohner lebten.


Die Liliputanerstadt war ein Relikt aus einer Zeit, in der sogenannte „Völkerschauen“ oder „Freakshows“ üblich waren, bei denen Menschen mit körperlichen Besonderheiten als Kuriositäten ausgestellt wurden. Solche Shows waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert weit verbreitet, doch die Liliputanerstadt existierte bis in die 1990er Jahre – eine Zeit, in der die Gesellschaft bereits sensibler für Menschenrechte und Diskriminierung war. Dennoch schien die Attraktion zunächst wenig Kontroverse auszulösen. Sogar Rainer Brüderle, damals Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz, lobte 1996 in einer Festschrift die Liliputanerstadt als „kein Märchen, sondern Wirklichkeit“.

Die Ausstellung von Menschen in der Liliputanerstadt wird heute oft als „Menschenzoo“ bezeichnet, ein Begriff, der die Entmenschlichung der Bewohner unterstreicht. Alexander Ott, ein Schüler, der die Attraktion für die Körber-Stiftung untersuchte, verglich sie mit Völkerschauen des 19. und 20. Jahrhunderts. Er argumentierte, dass die Ausstellung kleinwüchsiger Menschen im Holiday Park eine moderne Form solcher Praktiken war, die die Betroffenen zu Objekten der Unterhaltung machte.

Die Bewohner selbst beschrieben die Erfahrung als erniedrigend: „Die haben uns begutachtet wie Vieh.“ Die Menschen wurden nicht nur als Attraktionen präsentiert, sondern auch unter dem fiktionalen Label „Liliputaner“ vermarktet, was sie von der Realität als Menschen mit Kleinwuchs entfremdete. Die mediale Berichterstattung trug zur Fiktionalisierung bei, indem sie Stereotype und exotische Narrative verstärkte.


Die Liliputanerstadt wurde 1996 geschlossen, was vermutlich auf eine Kombination aus gesellschaftlichem Druck, sich wandelnden ethischen Standards und der medizinischen Entwicklung zurückzuführen ist. Ein Zirkusdirektor erklärte, dass es immer schwieriger wurde, „Liliputaner“ zu finden, da medizinische Fortschritte Kleinwuchs bereits im Kindesalter behandeln konnten. Zudem wuchs das Bewusstsein für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, und die Ausstellung von Menschen als Attraktionen wurde zunehmend als unvereinbar mit modernen ethischen Werten angesehen.


Nach der Schließung der Liliputanerstadt entwickelte sich der Holiday Park weiter zu einem modernen Freizeitpark mit Attraktionen wie der Achterbahn „Expedition GeForce“ (eröffnet 2001) und dem „Free Fall Tower“. 2010 wurde der Park an die belgische Plopsa-Gruppe verkauft, die ihn in einen Themenpark mit kinderfreundlichen Bereichen wie dem „Majaland“ umgestaltete. Die Liliputanerstadt blieb jedoch als dunkles Kapitel in der Geschichte des Parks erhalten.

Die Liliputanerstadt inspirierte auch literarische Werke. Florian Arleths Roman Ansichten eines Kleinwüchsigen (2018) spielt in einem fiktiven „Vacation Park“ in Haßloch und thematisiert die Erfahrungen eines kleinwüchsigen Protagonisten. Das Buch nutzt die Liliputanerstadt als Hintergrund, um über Identität, Ausgrenzung und die Wahrnehmung von Anderssein zu reflektieren, verpackt in einer humorvollen Erzählung.

Heute wird die Liliputanerstadt im Holiday Park als ethisch fragwürdige Attraktion betrachtet. Im Park selbst gibt es ein kleines Museum, das an die Geschichte des Parks erinnert, einschließlich eines Wohnwagens mit Glasfront aus der Liliputanerstadt. Viele Besucher, die die Attraktion als Kinder erlebten, reflektieren heute kritisch über ihre damalige Faszination und erkennen die problematische Natur der Ausstellung.



Die Liliputanerstadt im Holiday Park war eine Attraktion, die aus heutiger Sicht ein erschreckendes Beispiel für die Kommerzialisierung und Entmenschlichung von Menschen mit körperlichen Besonderheiten ist. Sie spiegelt eine Zeit wider, in der solche Praktiken gesellschaftlich toleriert wurden, und wirft Fragen nach Privatsphäre, Menschenwürde und der Verantwortung von Freizeitparks auf.

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2 Kommentare

Annette P. 10. Juni 2025 at 14:15

Ja, stimmt. Düster erinnert man sich noch an diese üble „Attraktion“ in Hassloch, damals in den 70-er Jahren. Es war ein Ausflug in der Grundschulzeit. Man hat sich leider wenig Gedanken gemacht, was diesen Menschen angetan wurde und dass sie vielleicht nicht freiwillig in dem Park lebten.
War da nicht auch eine Pommes-Bude in der Nähe und man wurde dazu animiert, die Bewohner mit Pommes zu füttern? Wie furchtbar!
Wie hat man das so lange tolerieren können? Das Mitleid mit den Delfinen war in der Öffentlichkeit anscheinend größer.
Es ist gut, an dieses dunkle Kapitel in der Geschichte des Freizeitparks zu erinnern. Es war ein grausames Menschenrechtsverbrechen zur Belustigung von Besuchern. Dabei sollte auch damals schon die Würde des Menschen unantastbar sein! Man kann sich nur dafür schämen – hoffentlich ist das auch in den Köpfen der (damaligen) Parkleitung angekommen.

Antworten
Gudrun Berger 3. Juli 2025 at 10:45

Es schien gewollt, dass der Alltag in der Liliputanerstadt 1974 von ständiger Beobachtung und fehlender Privatsphäre geprägt war.
Ich war als Schülerin davon Zeugin. Ich war 13 und damals mit meiner Klasse in Hassloch.
Der Liliputanerzoo war ein böses Erlebnis, das mich mein ganzes Leben begleitet hat. Tiere wurden sehr viel besser behandelt als die kleinwüchsigen Menschen.
Die Bewohner lebten in Wohnwagen mit Glasfenstern, durch die Besucher ihr tägliches Leben, wie Essen und Schlafen, beobachten konnten.
Wir haben auch beschämt hinein gesehen.
Mein Klassenlehrer sprach vom Lager.
Der Tagesablauf war streng organisiert, mit festen Essenszeiten nach der Delfinshow und Auftritten als Unterhaltung, da wurde schon mal ein Liliput geschlagen.
Die Bedingungen waren umstritten und werden heute als dehumanisierend betrachtet, was zu ihrer Schließung 1996 führte, die Sensation endete als noch andere Personen ausgestellt werden sollten, zum Beispiel Frau mit Bart etc.

Jeden Aspekt ihres Alltags zu beobachten, entsprach dem Wirgefühl der damaligen Zeit.
Ihre Mahlzeiten wurden oft von Schaulustigen unterbrochen, die sich unaufgefordert an ihre Tische setzten und neugierige Fragen stellten. Wie ist der Sex der Liliputaner etc. Jeder konnte mit einem Liliputaner Gassi gehen. Wie mit einem Hund. Würde gab es nicht, aber man durfte Pommes und Bratwurst füttern, wenn die Minis gut gearbeitet hatten.
Familie Schneider nannte das Liliputaner dressieren.
Die fehlende Privatsphäre war ein zentraler Aspekt ihres Lebens. Die Fenster konnten von außen geöffnet werden, und es war nicht unüblich, dass Kinder hinein gehoben wurden, um Fotos zu machen.
Das ging über Stunden. Kinder durften auch das Essen der Bewohner anfassen und damit spielen. Oder die Bewohner beschimpfen, weil sie gefährlich sein sollten. 15 Zwerge, die nur um das Überleben kämpften. So sehr enttäuscht waren die von ihrem Leben.
Die Bewohner fühlten sich wie in einem „pfälzischen Sibirien“ gefangen, da sie nach der Arbeit den Park nicht verlassen durften. Sie waren Sklaven der Parkbesitzer.
Viele arbeiteten im „Lili-Shop“ oder traten als Clowns und andere Figuren in Shows auf, um die Besucher zu unterhalten.
Die Liliputanerstadt war ein Spiegel der gesellschaftlichen Haltung der 1970er Jahre, in der Menschen mit körperlichen Besonderheiten als Kuriositäten galten.
Scouts reisten durch Europa, um kleinwüchsige Menschen anzuwerben, und der Park beschönigte diese Praxis in Prospekten als romantische Geschichte.
Heute wird die Liliputanerstadt als dehumanisierend betrachtet, und ihre Schließung 1996 markierte das Ende einer Ära, die an Kuriositätenkabinette des 19. Jahrhunderts erinnerte.
Familie Schneider war zu Tode betrübt, weil die Einnahmen nicht mehr so sprudelten.

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