Titelbild: Screenshot TikTok
Auf TikTok und Facebook wimmelt es seit Jahren von diesen sogenannten Bettelposts, die einem beim Scrollen sofort das Herz zerreißen sollen.
Jetzt wieder in der Weihnachtszeit.
Man sieht abgemagerte, zitternde Hunde und Katzen, oft mit offenen Wunden, teilweise schon halbtot daliegend, dazu dramatische Musik, riesige traurige Augen im Close-up und dann der Text: „Nur 1 Euro kann dieses Leben retten“, „Bitte hilf mir, ich habe nur noch Stunden“, „In Türkei/Bosnien/Bulgarien/Rumänien/Thailand werden sie vergiftet, erschossen, auf Müllhalden geworfen“.
Meistens sind es angeblich „Tierschützer vor Ort“, die angeblich jeden Tag Dutzende solcher Tiere retten, sie auf eigene Kosten zum Tierarzt schleppen, operieren lassen, füttern und dann nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz vermitteln.
Das Perfide daran ist die schiere Masse. Täglich kommen neue Accounts, neue „Rettungen“, neue „Notfälle“.
Ein und dasselbe Foto eines total abgemagerten Hundes taucht plötzlich mal in der Türkei auf, zwei Wochen später ist es angeblich ein Streuner aus Bulgarien, dann wieder aus Thailand. Manche Tiere werden seit 2021 in immer neuen Videos „gerettet“, obwohl sie eigentlich längst tot oder vermittelt sein müssten.
Die Geschichten sind immer gleich: „Er wurde vergiftet gefunden“, „Sie lag mit gebrochenem Bein am Straßenrand“, „Die Welpen wurden in einen Sack gesteckt und in den Fluss geworfen“. Dazu immer dieselben Phrasen auf gebrochenem Deutsch oder Englisch, oft mit Google-Translate-Fehlern, die irgendwie authentisch wirken sollen.Das wirklich Erschreckende ist, dass kaum jemand diese Geschichten überprüft. Die meisten dieser Accounts haben keine Impressumspflichtangaben, keine Vereinsregister-Nummer, keine Transparenz, wohin das Geld genau fließt.
Es wird einfach ein PayPal-Link oder eine IBAN reingestellt, oft auf private Namen, manchmal aus Osteuropa, manchmal aus Deutschland. Und die Summen sind enorm: Manche dieser „Tierschützer“ sammeln innerhalb weniger Tage 5.000, 10.000, manchmal 20.000 Euro – für ein einziges Tier. Angeblich. Dabei weiß jeder, der sich nur ansatzweise mit seriösem Tierschutz auskennt, dass eine Behandlung selten mehr als 1.000–2.000 Euro kostet, selbst bei schweren Fällen.Viele dieser Tiere existieren gar nicht wirklich so, wie dargestellt. Es gibt Berichte von Leuten, die vor Ort waren – in Istanbul, in Sarajevo, in Bukarest – und festgestellt haben, dass bestimmte „berühmte“ TikTok/Facebook-Tiere seit Jahren auf denselben Plätzen fotografiert werden, immer wieder absichtlich abgemagert oder künstlich dreckig gemacht, damit neue Spendenaufrufe kommen.
In Thailand soll es sogar Fälle geben, in denen Hunde absichtlich krank gemacht oder verletzt wurden, nur für Content. Und ja, es gibt in all diesen Ländern tatsächlich riesige Streunerprobleme, Massentötungen, Giftköder und furchtbare Zustände – das macht es so perfide. Die reale Not wird schamlos ausgenutzt, um mit echten Bildern von echtem Leid Geld zu machen, ohne dass auch nur ein Bruchteil bei den Tieren ankommt.
Die Kommentare unter solchen Videos sind ein einziger emotionaler Tsunami: „Ich habe 50 Euro geschickt, bitte rette ihn“, „Hier meine 20 Euro, ich hab geweint“, „Wie kann man nur so herzlos sein“. Die Leute spenden aus purer Ohnmacht und Mitleid, ohne einmal zu googlen, ohne zu fragen, wer hinter dem Account steckt, ohne zu sehen, dass derselbe „Tierschützer“ vor drei Monaten schon genau dasselbe Video mit demselben Hund hochgeladen hat – nur mit anderem Text.
Es hat sich eine richtige Industrie entwickelt: Professionelle Bettel-Accounts, die teilweise von ganzen Gruppen betrieben werden, die Fotos und Videos sammeln, teilweise sogar kaufen, und dann systematisch Emotionen triggern. Seriöse Tierschutzorganisationen vor Ort betteln nicht auf TikTok /Facebook mit Einzelspendenaufrufen für „Prinzessin Luna“ oder „kleinen Max“, die angeblich heute noch sterben wird, wenn nicht sofort 300 Euro für eine Bluttransfusion kommen. Seriöse Organisationen kastrieren, impfen, vermitteln strukturiert und zeigen transparent, wofür Spenden verwendet werden.
Natürlich gibt es auch echte private Tierschützer, die ihr Letztes geben. Aber die erkennt man meist daran, dass sie nicht jeden Tag zehn neue Todesfälle posten, nicht mit dramatischster Musik und Weinen im Hintergrund arbeiten und vor allem: Sie betteln nicht pausenlos um Geld für einzelne Tiere, sondern versuchen, langfristig etwas zu verändert.Wenn du also das nächste Mal so ein Video siehst – mit dem Hund, der angeblich genau jetzt in der Türkei vergiftet wird, und nur deine 5 Euro ihn retten können – scrolle weiter oder besser noch: melde den Account. Dein Mitleid ist echt. Aber das Geld landet höchstwahrscheinlich nicht bei dem Tier, sondern bei jemandem, der genau weiß, wie man mit ein bisschen Leid und viel Drama ein sehr gutes Einkommen generiert.
