Titelbild:Friedrich Merz, EVP, 2025
Die Entscheidung von Bundeskanzler Friedrich Merz, die Waffenlieferungen an Israel, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten, vorerst zu stoppen, hat in den letzten Tagen eine Debatte in Deutschland und darüber hinaus ausgelöst. Bislang war Israel Staatsräson in Deutschland.
Diese Maßnahme, die am 8. August 2025 angekündigt wurde, markiert einen bedeutenden Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik gegenüber Israel, einem Land, das traditionell als enger Partner gilt. Die Entscheidung wurde vor dem Hintergrund der eskalierenden humanitären Krise im Gazastreifen und der geplanten Offensive der israelischen Armee zur Einnahme von Gaza-Stadt getroffen, was Merz als unverhältnismäßig kritisiert hat. Die Reaktionen auf diesen Schritt reichen von Zustimmung bis hin zu scharfer Kritik, sowohl innerhalb Deutschlands als auch international, und spiegeln die Komplexität des Nahostkonflikts sowie die sensiblen historischen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wider.
Merz begründete den Waffenlieferstopp mit der zunehmenden Besorgnis der Bundesregierung über die humanitäre Lage im Gazastreifen. In einer offiziellen Erklärung betonte er, dass das von Israel geplante, noch härtere militärische Vorgehen im Gazastreifen nicht mehr erkennbar mit den Zielen vereinbar sei, die Israel selbst verfolge, nämlich die Entwaffnung der Hamas und die Sicherstellung, dass diese in der Zukunft keine Rolle im Gazastreifen spielt. Merz unterstrich, dass Israel zwar das Recht habe, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen, jedoch die Verantwortung der israelischen Regierung für das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza nicht ignoriert werden könne. Die Bundesregierung sei „zutiefst besorgt“ über die Lage, und die geplante Offensive verschärfe diese Bedenken. Unter diesen Umständen, so Merz, könne Deutschland keine Rüstungsgüter mehr liefern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten. Diese Entscheidung wurde auch als Reaktion auf den Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts verstanden, Gaza-Stadt zu übernehmen, was laut Merz die humanitäre Katastrophe weiter verschlimmern würde.
Die Reaktionen auf Merz’ Entscheidung sind gespalten und zeigen die tiefen politischen und gesellschaftlichen Gräben in Deutschland sowie die Komplexität der deutsch-israelischen Beziehungen. Innerhalb der Regierungskoalition und der Opposition gibt es sowohl Unterstützung als auch vehemente Ablehnung. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) unterstützte Merz’ Schritt und betonte, dass Deutschland zwar solidarisch mit Israel sei, jedoch „Falsches benannt werden müsse“. Die humanitäre Lage in Gaza sei unerträglich, und die israelische Regierung trage dafür eine große Verantwortung. Auch die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner begrüßte die Entscheidung, forderte jedoch weitere Maßnahmen, wie einen stärkeren Einsatz für einen politischen Prozess, der zu einem Waffenstillstand und der Freilassung der Geiseln führen könne. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Adis Ahmetovic, ging sogar noch weiter und schlug zusätzliche Schritte wie die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel oder die medizinische Evakuierung von Verletzten aus Gaza vor. Die Linke bezeichnete den Waffenstopp als „überfälligen Schritt“ und forderte die Anerkennung Palästinas sowie die Umsetzung von Maßnahmen des Internationalen Gerichtshofs.
Auf der anderen Seite stieß die Entscheidung auf erhebliche Kritik, insbesondere innerhalb der Union und von konservativen Kreisen. Die CSU, die an der Entscheidung offenbar nicht beteiligt war, zeigte sich laut Medienberichten überrascht und verärgert. CSU-Politiker wie Markus Söder und Alexander Dobrindt hatten zuvor die Unterstützung für Israel betont, und die Entscheidung wurde als Affront gegenüber der bisherigen Linie der Partei wahrgenommen. CDU-Außenpolitiker wie Roderich Kiesewetter nannten den Stopp einen „schweren politischen und strategischen Fehler“, der das Vertrauen in die deutsch-israelische Freundschaft untergrabe und die Staatsräson, also die Verpflichtung Deutschlands zur Sicherheit Israels, zu einer „leeren Hülle“ mache. Kiesewetter warf Merz vor, sich dem Druck eines „antisemitischen Mobs“ und der Propaganda der Hamas gebeugt zu haben. Ähnlich scharf äußerte sich die Junge Union, die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU, die den Waffenstopp als Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik bezeichnete. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte, dass der Kurswechsel die Existenz Israels gefährde, da das Land täglich Bedrohungen ausgesetzt sei und auf militärische Unterstützung angewiesen sei.
International sorgte die Entscheidung ebenfalls für Kontroversen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisierte den Waffenstopp scharf und warf Deutschland vor, mit dieser Maßnahme den „Terror der Hamas“ zu belohnen. In einer Pressekonferenz in Jerusalem am 10. August 2025 äußerte er, dass Merz, den er als „guten Freund Israels“ bezeichnete, dem Druck falscher Medienberichte und innerer politischer Gruppen nachgegeben habe. Netanjahu betonte, dass Israel nicht den Gazastreifen besetzen, sondern von der Hamas befreien wolle, und versprach, sichere Korridore für die Zivilbevölkerung einzurichten. Merz wies diese Vorwürfe in einem Interview mit den ARD-„Tagesthemen“ zurück und betonte, dass seine Entscheidung nicht auf öffentlichem Druck, sondern auf Beratungen im Kabinett und mit Fachleuten basiere. Gleichzeitig bekräftigte er die unveränderte Solidarität Deutschlands mit Israel, betonte jedoch, dass diese Solidarität nicht bedeute, jede Entscheidung der israelischen Regierung zu unterstützen, insbesondere wenn diese ausschließlich militärische Lösungen verfolge.
Die Entscheidung hat auch Fragen zu den bisherigen Waffenlieferungen Deutschlands an Israel aufgeworfen. Deutschland gilt nach den USA als zweitwichtigster Rüstungslieferant Israels und hat in den letzten Jahren erhebliche Mengen an militärischer Ausrüstung geliefert.
Laut Berichten wurden seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 Rüstungsexporte im Wert von etwa 485 Millionen Euro genehmigt, darunter Panzerabwehrwaffen, Munition, Ersatzteile für Helikopter und Panzer sowie Ausrüstung für die israelische Marine, wie Korvetten und U-Boote von ThyssenKrupp. Die genauen Details der Lieferungen bleiben jedoch oft unklar, da die Bundesregierung aus strategischen Gründen keine vollständige Transparenz bietet. Kritiker wie die Linke haben wiederholt gefordert, genauere Angaben zu veröffentlichen, um die Verwendung deutscher Waffen im Konflikt nachzuvollziehen.
Die Debatte um den Waffenlieferstopp zeigt die schwierige Balance, die Deutschland zwischen seiner historischen Verantwortung gegenüber Israel und der Verpflichtung zur Wahrung humanitärer Standards zu finden versucht. Merz’ Entscheidung, die Lieferungen auszusetzen, wurde von vielen als notwendiger Schritt gesehen, um ein Zeichen gegen die eskalierende Gewalt im Gazastreifen zu setzen, während andere sie als Verrat an der deutsch-israelischen Freundschaft werten.
Die Diskussion wird in den kommenden Wochen sicherlich weitergehen, insbesondere da die humanitäre Lage in Gaza weiterhin katastrophal bleibt und die internationale Gemeinschaft nach Wegen sucht, den Konflikt zu deeskalieren. Merz selbst betonte, dass Deutschland diplomatische Lösungen unterstützen wolle, etwa durch Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln, während die militärische Unterstützung für Israels aktuelle Kriegsführung in Gaza vorerst eingestellt bleibt.
