Titelbild: Eva Maria Pommer, Interpol, 2025
In den malerischen Dünenlandschaften nahe Wassenaar, einer idyllischen Gemeinde an der Küste der Provinz Südholland in den Niederlanden, ereignete sich vor mehr als zwei Jahrzehnten ein Ereignis, das lange Zeit in den Annalen der ungelösten Fälle schlummerte und nun, im Herbst 2025, eine dramatische Wende genommen hat. Wassenaar, bekannt für seine luxuriösen Villen, seine Nähe zu Den Haag und seine ausgedehnten Naturschutzgebiete, die Wanderern und Naturliebhabern als Paradies dienen, wurde im Sommer 2004 zum Schauplatz einer makabren Entdeckung.
Am 12. August jenes Jahres stießen Spaziergänger in den weiten, windgepeitschten Dünen des Natuurgebieds Meijendel auf die Überreste einer unbekannten Frau. Ihr Leichnam lag teilweise skelettiert in einer flachen Grube, notdürftig mit Sand und Laub bedeckt, als ob der Täter – oder die Natur selbst – versucht hätte, die Spuren eines Verbrechens zu verwischen. Die Frau, die später als „die Frau mit den deutschen Schlüsseln“ bekannt werden sollte, war etwa 35 Jahre alt, maß rund 1,65 Meter und wies Merkmale auf, die auf eine helle Haut, braune Haare und eine kräftige, aber nicht übermäßig athletische Statur hindeuteten. An ihrem Körper trugen sie typisch deutsche Kleidungsstücke. Eine Jeans von einer Marke, die in Deutschland weit verbreitet war, sowie ein Schlüsselbund mit Schlössern der renommierten deutschen Hersteller Wilka und Winkhaus. Einer der Schlüssel ließ sich sogar einer Bäckerei in Bottrop, einer Industriestadt im Ruhrgebiet Nordrhein-Westfalen, zuordnen. Diese Hinweise deuteten früh auf eine Verbindung nach Deutschland hin, doch trotz intensiver Ermittlungen der niederländischen Polizei und internationaler Kooperationen blieb die Identität der Toten jahrelang ein Rätsel, das Polizisten und Kriminalexperten gleichermaßen frustrierte.Die Ermittlungen begannen unmittelbar nach dem Fund mit einer umfassenden Obduktion und forensischen Analysen in den Labors der niederländischen Behörden. Die Todesursache konnte nicht eindeutig geklärt werden – es gab Anzeichen für eine mögliche Gewalteinwirkung, wie Knochenbrüche und Verletzungen, die auf einen Sturz oder einen Kampf hindeuten könnten, aber auch natürliche Ursachen oder ein Unfall schlossen sich nicht aus.
Die Frau trug keine Papiere bei sich, und ihre Kleidung war der Witterung schutzlos ausgesetzt gewesen, was die Spurenanalyse erschwerte. Zahnarztunterlagen, Fingerabdrücke und DNA-Profile wurden in internationalen Datenbanken abgeglichen, doch ohne Treffer. Die niederländische Polizei veröffentlichte Phantombilder und Rekonstruktionen des Gesichts, erstellt aus Schädelanalysen, in lokalen Medien und Apps wie „Spoorloos“, um Zeugen zu finden. Dennoch verblasste der Fall allmählich in den Archiven der Cold Cases, während die Dünen von Wassenaar weiterhin ihre friedliche Fassade boten – ein Kontrast, der die Tragik des Geschehens nur unterstrich. In Deutschland wurden ähnliche Appelle gestartet, etwa durch das Bundeskriminalamt (BKA), das die Öffentlichkeit um Hinweise bat, doch die Jahre verstrichen, und die Hoffnung schwand.Der Durchbruch kam unerwartet und dank einer innovativen internationalen Initiative, die den Fall aus der Versenkung holte: Die Kampagne „Identify Me“ des Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation Interpol (IKPO). Gestartet im Oktober 2024, zielte diese globale Fahndungswelle darauf ab, die Identitäten von 22 unbekannten Frauen und Mädchen zu klären, deren Fälle seit Jahrzehnten ungelöst waren. Die Kampagne nutzte fortschrittliche Technologien wie künstliche Intelligenz zur Gesichtsrekonstruktion, um Alterungssimulationen und detaillierte Porträts zu erzeugen, die in Fernsehsendungen, Social Media und Zeitungen in mehreren Ländern präsentiert wurden. In den Niederlanden wurde der Fall in der beliebten Krimi-Sendung „Opsporing Verzocht“ thematisiert, während in Deutschland „Aktenzeichen XY… ungelöst“ eine AI-generierte Zeichnung der Toten zeigte – ein Bild, das ihre Züge weicher und zugänglicher wirken ließ, um emotionale Bindungen bei potenziellen Zeugen zu wecken. Diese Medienpräsenz führte zu einer Flut von Tipps, von denen einer besonders vielversprechend war: Eine Meldung an die private niederländische Organisation Stichting Coldcasezaken, die sich der Aufklärung alter Fälle widmet. Die Stiftung hatte recherchiert und einen möglichen Link zu einer seit rund 20 Jahren vermissten Deutschen hergestellt. Dieser Hinweis wurde umgehend an die Polizei weitergeleitet und löste eine Kaskade von Aktivitäten aus.Die Identifizierung der Toten als Eva Maria Pommer, eine 35-jährige Frau aus Bottrop, erfolgte am 9. Oktober 2025 – genau 21 Jahre nach dem Fund – in enger Zusammenarbeit zwischen dem niederländischen Nationalen Polizeiteam, dem BKA in Wiesbaden und der Staatsanwaltschaft Essen. Der entscheidende Beweis kam durch einen DNA-Vergleich. Proben aus dem Leichnam wurden mit Material aus der vermissten Person abgeglichen, das in Deutschland archiviert worden war.
Eva Maria Pommer war am 15. März 1969 in Bottrop geboren und galt seit dem Sommer 2004 als vermisst. Ihre Handtasche mit Ausweispapieren war in ihrer damaligen Wohnung an der Bothenstraße in Bottrop zurückgeblieben, was auf einen plötzlichen, ungeplanten Aufbruch hindeutete. Sie studierte in jenen Jahren in der Nähe von Bottrop, möglicherweise Betriebswirtschaft oder ein verwandtes Fach an einer Fachhochschule im Ruhrgebiet, und war aktiv in einem lokalen Sportverein engagiert – Berichten zufolge spielte sie Tennis oder war in einer Gymnastikgruppe involviert, was ihre fitte Konstitution erklären könnte. Zudem besaß sie einen Schwerbehindertenausweis, der auf gesundheitliche Einschränkungen hinwies, Details zu denen die Ermittler derzeit diskret bleiben, um die Privatsphäre der Familie zu wahren. Im Sommer 2004, dem letzten Mal, dass sie lebend gesehen wurde, trug sie Alltagskleidung, die mit den Fundstücken übereinstimmte, und es gab Vermutungen, dass sie eine Reise in die Niederlande unternommen hatte – vielleicht zu einem Urlaub, einem Treffen oder spontan zu einem Ausflug in die Küstenregion um Wassenaar. Mögliche Anlaufpunkte wie Hotels, Freizeitparks oder Strandcafés in der Umgebung werden nun intensiv überprüft, um ihren letzten Aufenthaltsort zu rekonstruieren.Die Identifizierung Pommers markiert nicht nur den ersten Erfolg der „Identify Me“-Kampagne in den Niederlanden, sondern unterstreicht auch die Kraft grenzüberschreitender Polizeiarbeit in einer vernetzten Welt. Nach der Klärung der Identität hat die Staatsanwaltschaft Essen die Ermittlungen zu den Todesumständen an die Polizei Recklinghausen übergeben, die nun tiefer in Pommers Leben eintauchen: Wer waren ihre Freunde und Bekannten? Gab es Konflikte, finanzielle Probleme oder Beziehungen, die zu einer Reise in die Niederlande führten? Und vor allem: War ihr Tod das Ergebnis eines Gewaltdelikts, eines Unfalls in den unwegsamen Dünen oder etwas anderem? Die Behörden appellieren an die Öffentlichkeit, insbesondere an Personen aus dem Ruhrgebiet oder der niederländischen Küstenregion, die Eva Maria Pommer im Sommer 2004 kannten oder sahen. Hinweise können anonym eingereicht werden, sei es über die Hotlines des BKA oder der niederländischen Polizei. Dieser Fall, der von Vergessenheit bedroht war, erinnert daran, dass selbst nach Jahrzehnten Gerechtigkeit und Wahrheit möglich sind – und dass die Dünen von Wassenaar, so schön sie sind, auch dunkle Geheimnisse bergen können, die nun endlich ans Licht kommen. Die Familie Pommers, die all die Jahre in Ungewissheit lebte, erhält nun zumindest Gewissheit, wenngleich der Schmerz um den Verlust unermesslich bleibt. In einer Zeit, in der Technologie und menschliche Empathie Hand in Hand gehen, wird dieser Durchbruch hoffentlich weitere Türen zu ungelösten Rätseln öffnen und Opfern wie Eva Maria Pommer die verdiente Würde zurückgeben.
