Titelbild: Rauff bei Festnahme in Italien, gemeinfrei
Walther Rauff wurde 1906 in Köthen, Anhalt, geboren. Er trat 1924 als Kadett in die Reichsmarine ein, wo er eine Ausbildung zum Seeoffizier absolvierte.
1928 wurde er Leutnant zur See, 1930 Oberleutnant und 1935 Kapitänleutnant, spezialisiert auf Minenräumwesen. Seine Marinekarriere endete 1937 abrupt nach einer Scheidung, die als Skandal galt, da Eheprobleme in der Marine als unvereinbar mit der Offiziersehre angesehen wurden. Trotz seines Ausscheidens wurde er „mit allen Ehren“ entlassen, was ihm Pensionsansprüche und das Recht zum Tragen der Uniform sicherte.
Nach seinem Austritt aus der Marine knüpfte Rauff Kontakte zur SS über SA-Obergruppenführer von Jagow, der ihn mit Reinhard Heydrich, dem Chef des Sicherheitsdienstes (SD), in Verbindung brachte. Heydrich, ebenfalls ein ehemaliger Marineoffizier, nahm Rauff unter seine Fittiche, und 1938 trat Rauff der SS bei, wo er schnell Karriere machte.Im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), der zentralen Terrorbehörde der SS, leitete Rauff die Gruppe II D (Technik und Ausrüstung). In dieser Funktion war er von 1941 bis 1943 maßgeblich für die Entwicklung und den Einsatz der sogenannten Gaswagen verantwortlich, mobile Gaskammern, die zur Ermordung von Juden, Sinti und Roma, Kommunisten und anderen als „Feinde“ des NS-Regimes eingestuften Personen verwendet wurden.
Die Gaswagen waren Lastkraftwagen, deren Abgase durch einen Schlauch in einen hermetisch abgedichteten Kastenaufbau geleitet wurden, in dem die Opfer erstickten. Rauff koordinierte die technische Entwicklung, die Verteilung der Fahrzeuge an Einsatzgruppen und deren Einsatz in besetzten Gebieten, insbesondere in der Sowjetunion, Polen und im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno). Ein Dokument vom 5. Juni 1942, unterzeichnet von Friedrich Pradel und an Rauff gerichtet, vermerkt, dass bis Dezember 1941 „97.000 verarbeitet“ wurden, ohne dass „Mängel an den Fahrzeugen auftraten“.
Dies belegt die industrielle Effizienz, mit der Rauff die Massenmorde organisierte.In einer Vernehmung 1972 in Santiago de Chile zeigte Rauff keine Reue. Er erklärte, die Gaswagen seien eingeführt worden, um die psychische Belastung der Erschießungskommandos zu reduzieren, und er habe keine moralischen Bedenken gehabt. Historiker schätzen, dass unter Rauffs Verantwortung mindestens 90.000 bis 100.000 Menschen, überwiegend Juden, in Gaswagen ermordet wurden.1942 wurde Rauff nach Nordafrika versetzt, wo er ein SD-Einsatzkommando im deutsch besetzten Tunesien leitete. Seine Aufgabe war die Deportation der jüdischen Bevölkerung, doch dies scheiterte an mehreren Faktoren: Die Juden wurden als Arbeitskräfte für das Afrikakorps eingesetzt, verbündete italienische Truppen und Teile der Wehrmacht opponierten, und es fehlten Transportkapazitäten.
Trotzdem bereitete Rauff Pläne vor, die „Endlösung“ auch in Palästina umzusetzen, falls die Wehrmacht die Region erobert hätte.1943 wurde Rauff nach Italien versetzt, das nach der Absetzung Mussolinis von der Wehrmacht besetzt worden war. Als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Oberitalien bekämpfte er Partisanen und unterdrückte Streiks. In dieser Zeit stieg er zum SS-Standartenführer auf, dem höchsten Rang, den er erreichte.1945 geriet Rauff in Italien in amerikanische Gefangenschaft, konnte jedoch 1946 aus einem Internierungslager fliehen. Er tauchte zunächst in einem Benediktinerkloster und später in einem kirchlichen Waisenhaus in Rom unter, unterstützt von Netzwerken der katholischen Kirche, die zahlreichen NS-Tätern zur Flucht verhalfen.
Diese Netzwerke, oft als „Rattenlinie“ bezeichnet, wurden von katholischen Geistlichen wie Bischof Alois Hudal organisiert, die aus antikommunistischer Überzeugung oder anderen Motiven handelten.1948 reiste Rauff nach Syrien, wo er für den syrischen Nachrichtendienst unter dem Decknamen „Jean Hamsi“ arbeitete. Nach dem verlorenen Palästinakrieg 1948 suchte das syrische Regime unter Husni az-Za’im deutsche Expertise, um die Armee und den Geheimdienst zu reorganisieren.
Rauff war am Aufbau der syrischen Geheimpolizei (Deuxième Bureau) beteiligt und unterhielt enge Kontakte zum Chef des syrischen Militärgeheimdienstes. Er warb weitere deutsche „Experten“ an, darunter ehemalige NS-Funktionäre. Die Organisation Gehlen, der Vorläufer des BND, wusste von Rauffs Aktivitäten in Syrien, unternahm jedoch nichts dagegen.Ein Putsch im April 1949 zwang Rauff, Syrien zu verlassen. Er kehrte kurz nach Italien zurück, bevor er seine Flucht nach Südamerika plante.Im Dezember 1949 verließ Rauff mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen Europa über die „Rattenlinie“ per Schiff nach Ecuador. Es gibt Hinweise, dass er falsche Papiere erhielt, möglicherweise vom israelischen Geheimdienst, was jedoch umstritten ist, da eine Zusammenarbeit mit dem Mossad angesichts seiner Verbrechen kaum vorstellbar erscheint. In Quito ließ sich Rauff nieder und arbeitete als Vertreter für westdeutsche Firmen wie Bayer, Opel und Parke-Davis. Die CIA verdächtigte ihn, in Ecuador für Geheimdienste tätig zu sein, konnte dies aber nicht beweisen.In Quito knüpfte Rauff eine entscheidende Verbindung.
Er freundete sich mit Augusto Pinochet an, der 1956–1959 als chilenischer Militärdiplomat in Ecuador tätig war und an der Kriegsakademie Ecuadors mitwirkte. Pinochet warb Rauff im Auftrag des chilenischen Oberkommandos als Militärberater für Chile an. Rauff selbst gab später an, Pinochet habe ihn auf die „Vorzüge eines Lebens in Chile“ aufmerksam gemacht. Diese Beziehung sollte später entscheidend für Rauffs Rolle in der Pinochet-Diktatur werden.1958 zog Rauff mit seiner Familie nach Chile, wo er zunächst als Kaufmann und später als Besitzer einer Konservenfabrik in Punta Arenas tätig war. Berichten zufolge brachte ihm dies bescheidenen Wohlstand. Ein CIA-Bericht von 1974 erwähnt, dass er zeitweise in Porvenir auf Feuerland lebte und Viehzucht betrieb, doch diese Angaben sind widersprüchlich.Von 1958 bis 1962 arbeitete Rauff als Agent des BND unter dem Decknamen „Enrico Gomez“ (Registriernummer V-7410).
Er wurde am 25. Oktober 1958 von Wilhelm Beissner, einem ehemaligen Kollegen aus dem RSHA, angeworben, der ebenfalls für den BND tätig war. Rauffs Aufgabe war es, ein Spionagenetz in Südamerika aufzubauen, insbesondere Informationen aus Kuba zu liefern. Er erhielt monatlich 2.000 DM Honorar, insgesamt über 70.000 DM, sowie Schulungen in der Bundesrepublik, trotz eines seit 1961 bestehenden Haftbefehls gegen ihn.Der BND war sich Rauffs NS-Vergangenheit bewusst, rechtfertigte seine Anwerbung jedoch mit seiner „Geheimdiensterfahrung“ und antikommunistischen Haltung. Seine Berichte wurden jedoch als „weitgehend wertlos“ eingestuft, und 1962, nach seiner Verhaftung in Chile aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens, beendete der BND die Zusammenarbeit wegen „mangelnder politischer Übersicht“. Die Familie Rauff erhielt noch 3.200 DM für Anwaltskosten.
Die Anwerbung Rauffs wurde später vom BND als „politisch und moralisch in keiner Hinsicht vertretbar“ bezeichnet. Es gibt Hinweise, dass der Kontakt möglicherweise bis 1977 andauerte, als die CIA vermutete, Rauff habe dem BND Informationen über ein angebliches Attentat auf US-Präsident Jimmy Carter geliefert. Dies bleibt jedoch unbestätigt.Trotz internationaler Bemühungen, insbesondere durch den Nazijäger Simon Wiesenthal, wurde Rauff nie für seine NS-Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. 1962 wurde er in Chile verhaftet, aber der Oberste Gerichtshof lehnte eine Auslieferung ab, da seine Taten nach chilenischem Recht verjährt waren. 1973 vereitelte der Putsch Pinochets eine erneute Initiative Wiesenthals unter der Regierung Allende. Rauffs Verbindungen zu einflussreichen chilenischen Kreisen, insbesondere zu Pinochet, schützten ihn Nach dem Putsch am 11. September 1973, der Salvador Allende stürzte und Augusto Pinochet an die Macht brachte, spielte Rauff eine bedeutende Rolle im chilenischen Geheimdienst DINA (Dirección de Inteligencia Nacional). Die DINA war für systematische Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter, Entführungen und Morde an Oppositionellen, verantwortlich. Rauffs Expertise aus seiner NS-Zeit machte ihn zu einem gefragten „Berater“ für die Unterdrückungsapparate der Diktatur.Laut Recherchen des Investigativjournalisten Wilfried Huismann und Zeugenaussagen war Rauff von 1973 bis 1976 in San Antonio tätig, wo er eine Gruppe deutscher Emigranten innerhalb der DINA leitete.
Diese Gruppe, oft als „unsere deutsche Truppe“ bezeichnet, war mit der Organisation des „Verschwindenlassens“ von Gefolterten befasst. Rauff galt als „internationaler Experte“ für die sogenannte „Solución Final“ (Endlösung), ein Begriff, der in der chilenischen Diktatur für die Ermordung von Gefangenen verwendet wurde, die nach ihrer Folter nicht freigelassen werden sollten.Rauff beriet DINA-Chef Manuel Contreras bei der Ausbildung des Personals und der Strukturierung des Unterdrückungsapparats. Er war an der Errichtung eines Konzentrationslagers in der Atacama-Wüste beteiligt, das bereits vor dem Putsch geplant wurde, sowie an der Entwicklung von Methoden, um Leichen unauffällig zu entsorgen, etwa durch Einsatz von Giftgas (Sarin) oder Erschießungen in der Fischfabrik „Arauco“ in San Antonio.
Rauff wird auch mit der Colonia Dignidad, einer deutschsprachigen Sektensiedlung, die als Foltergefängnis und Waffenlager der DINA diente, in Verbindung gebracht. Ehemalige Bewohner berichten, dass Rauff 1974 unter einem Decknamen („General van Nordenflycht“) Schulungen für das Wachpersonal leitete. Es gibt Berichte, dass er den Bau eines Gaswagens in der Siedlung initiierte, ähnlich denen, die er im Nationalsozialismus entwickelt hatte. Paul Schäfer, der Anführer der Colonia, soll mit der Existenz eines solchen Wagens geprahlt haben.Die Beweise für Rauffs direkte Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen sind stark, aber lückenhaft, da viele DINA-Dokumente vernichtet wurden und überlebende Täter ein Schweigegelübde einhalten. Zeugenaussagen, wie die eines DINA-Rekruten namens „Simon“ und des ehemaligen Fischfabrikarbeiters Jorge Silva, bestätigen Rauffs Anwesenheit in DINA-Einrichtungen wie dem Konzentrationslager Chacabuco und der Fischfabrik Arauco, wo Gefangene ermordet wurden. CIA-Berichte von 1974 und 1976 bleiben vage, da sie aus Quellenschutzgründen nur eingeschränkt freigegeben wurden.
Dennoch berichtete die französische Zeitung Le Monde bereits 1973, dass Rauff in führender Funktion bei der DINA tätig sei.Rauffs Expertise in der „industriellen Vernichtung“ machte ihn laut Huismann zum „Architekten“ der DINA-Repressionsmethoden. Seine Erfahrung mit der Entsorgung von Leichen und der Organisation von Massenmorden war für das chilenische Militär, das keine vergleichbare Erfahrung hatte, von unschätzbarem Wert.Walther Rauff starb am 14. Mai 1984 in Santiago de Chile an Krebs, ohne je für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Sein Begräbnis wurde von mehreren ehemaligen Nazis besucht, darunter der chilenische Hitler-Esoteriker Miguel Serrano, der ihm ein „Heil Hitler“ nachrief.
Rauffs Fall wirft ein Schlaglicht auf die Nachkriegsgeschichte von NS-Tätern, die durch antikommunistische Netzwerke, kirchliche Unterstützung und die Protektion autoritärer Regime geschützt wurden. Seine Tätigkeit für den BND und die DINA zeigt, wie NS-Expertise in der Nachkriegszeit von westlichen und lateinamerikanischen Geheimdiensten genutzt wurde, oft ohne Rücksicht auf moralische oder rechtliche Bedenken.Rauffs Flucht war ein mehrstufiger Prozess, der durch gut organisierte Netzwerke ermöglicht wurde:Nach seiner Flucht aus dem Internierungslager 1946 wurde Rauff von der katholischen Kirche, insbesondere durch Bischof Alois Hudal, unterstützt. Er versteckte sich in Klöstern und Waisenhäusern in Rom, wo er falsche Papiere erhielt. Die „Rattenlinie“ nutzte Verbindungen zum Internationalen Roten Kreuz und südamerikanischen Konsulaten, um NS-Tätern die Ausreise zu ermöglichen.Rauffs Kontakte zu syrischen Geheimdienstkreisen, die deutsche Expertise suchten, ermöglichten seinen Aufenthalt in Damaskus.
Seine Anwerbung deutscher „Experten“ in Rom zeigt, dass er bereits vor seiner Ankunft ein Netzwerk aufgebaut hatte. Die Organisation Gehlen wusste von seinem Aufenthalt, griff aber nicht ein. Die Flucht nach Ecuador erfolgte per Schiff über die „Rattenlinie“, möglicherweise mit Papieren, die über Israel oder andere Kanäle beschafft wurden. In Ecuador und später Chile profitierte Rauff von der Präsenz anderer NS-Emigranten und der Toleranz südamerikanischer Regierungen, die NS-Täter oft als antikommunistische Verbündete sahen. Seine Verbindung zu Pinochet, die in Ecuador entstand, war entscheidend für seinen späteren Schutz in Chile.Rauffs Tätigkeit bei der DINA ist durch Zeugenaussagen und journalistische Recherchen gut belegt, wenn auch nicht lückenlos dokumentiert:Rauff leitete in San Antonio eine Gruppe deutscher Emigranten, die für das „Verschwindenlassen“ von Gefolterten zuständig war. Er beriet DINA-Chef Manuel Contreras bei der Organisation von Repressionsmaßnahmen und der Ausbildung von Personal.Rauff war an der Errichtung eines Lagers in der Atacama-Wüste beteiligt und entwickelte Methoden zur unauffälligen Entsorgung von Leichen, etwa durch Sarin oder Erschießungen in der Fischfabrik Arauco.Seine Besuche und Schulungen in der Colonia Dignidad sowie die mutmaßliche Entwicklung eines Gaswagens deuten auf eine direkte Übertragung seiner NS-Expertise auf die chilenische Diktatur hin. Zeugen wie „Simon“ und Jorge Silva bestätigen Rauffs Anwesenheit bei DINA-Operationen. Die Le Monde-Berichte von 1973 und Huismanns Recherchen stützen diese Aussagen. CIA-Berichte bleiben vage, doch die Gesamtheit der Indizien zeigt, dass Rauff eine zentrale Rolle in der DINA spielte und an Menschenrechtsverletzungen beteiligt.
