Titelbild: Strandarkirkja, kasaan media, 2025
Strandarkirkja, eine kleine lutherische Pfarrkirche in Selvogur an der Südküste Islands, ist weit mehr als nur ein Gotteshaus. Sie trägt den Beinamen „Wunderkirche“ und ist tief in der Geschichte und Kultur des Landes verwurzelt, geprägt durch eine bewegende Legende und eine lange Tradition von Wundern und Gelübden. Die Kirche, die einsam inmitten der rauen, schwarzen Vulkansandstrände und mit Blick auf den tosenden Nordatlantik steht, hat sich über Jahrhunderte hinweg als spiritueller Anker für Seefahrer und Gläubige etabliert. Ihre Geschichte, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, ist geprägt von Glauben, Hoffnung und einer besonderen Verbindung zum Meer.

Die Ursprünge von Strandarkirkja sind eng mit einer Legende verknüpft, die von verzweifelten Seeleuten erzählt, die in einem schweren Sturm auf dem Nordatlantik um ihr Leben kämpften. Die Südküste Islands ist berüchtigt für ihre tückischen Riffe, starken Strömungen und unberechenbaren Stürme, die selbst erfahrene Seeleute an ihre Grenzen bringen. In ihrer Not beteten die Seeleute zu Gott und schworen, an dem Ort, an dem sie sicher landen würden, eine Kirche zu errichten. Nach ihrem Gebet erschien ein leuchtender Engel – oder in manchen Versionen der Geschichte ein helles Licht – vor dem Bug ihres Schiffes.
Dieses Licht führte sie durch die gefährliche Brandung und die verborgenen Riffe sicher in eine geschützte Bucht, die später Engilsvík, die „Engelsbucht“, genannt wurde. Die Seeleute hielten ihr Versprechen und bauten mit dem Holz, das sie an Bord hatten, eine Kirche, die sie Strandarkirkja nannten – „die Kirche am Strand“. Diese Geschichte, die möglicherweise aus dem 12. Jahrhundert oder sogar früher stammt, bildet die Grundlage für den Ruf der Kirche als Ort des Schutzes und der göttlichen Fürsprache.
Die heutige Kirche, die 1888 erbaut und 1968 sowie 1996 renoviert wurde, steht auf denselben Fundamenten wie ihre Vorgängerbauten. Sie ist ein schlichtes, aber charmantes Holzgebäude, das sich harmonisch in die wilde Landschaft einfügt. Die einsame Lage, direkt am Atlantik und umgeben von einer dramatischen Küstenlinie, verstärkt den mystischen Charakter des Ortes. In unmittelbarer Nähe zur Kirche steht eine Statue aus norwegischem Granit, geschaffen von der isländischen Bildhauerin Gunnfríður Jónsdóttir und 1950 enthüllt. Diese Skulptur, genannt „Landsýn“ („Land in Sicht“), erinnert an die Rettung der Seeleute und zeigt eine Frauengestalt, die symbolisch für den rettenden Engel steht. Gunnfríður selbst, die von der Einsamkeit der Kirche und ihrer Verbindung zum Meer tief berührt war, liegt auf dem Friedhof von Strandarkirkja begraben.
Strandarkirkja ist nicht nur ein Ort der Legenden, sondern auch ein spirituelles Zentrum, das für seine „Wunderkräfte“ bekannt ist. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Kirche zu einem Wallfahrtsort, an dem Menschen aus ganz Island – und sogar aus dem Ausland, insbesondere aus den nordischen Ländern – Gelübde ablegten und Spenden darbrachten, in der Hoffnung, dass ihre Gebete erhört würden. Diese Tradition der Votivgaben, die in Island aufgrund der lutherischen Staatsreligion ungewöhnlich ist, machte Strandarkirkja zeitweise zu einer der reichsten Kirchen des Landes. Die Gläubigen beteten für Schutz auf See, Heilung von Krankheiten, Hilfe in schwierigen Lebenslagen oder sogar für Liebesangelegenheiten. Eine bekannte Geschichte erzählt von Bjarni Sívertsen, einem Mann aus dem 18. Jahrhundert, der ein Gelübde ablegte, der Kirche ein Beichtstuhl zu schenken, falls er im Leben erfolgreich würde. Nachdem er durch eine vorteilhafte Ehe zu Wohlstand gelangte, hielt er sein Versprechen, und der Beichtstuhl, ein ungewöhnliches Geschenk für eine lutherische Kirche, zeugt noch heute von seiner Dankbarkeit.
Die Kirche hat eine besondere Bedeutung für Seefahrer, die sie als Schutzpatronin betrachten. Vor gefährlichen Reisen besuchten sie Strandarkirkja, um für eine sichere Fahrt zu beten, und kehrten nach ihrer Rückkehr zurück, um Dank zu sagen, oft in Form von kleinen Schiffen, Kerzen oder anderen maritimen Symbolen. Diese Tradition spiegelt die tiefe Verbindung der Isländer zum Meer wider, das sowohl Lebensgrundlage als auch ständige Bedrohung war. Aber nicht nur Seefahrer fühlen sich von der Kirche angezogen. Auch heute noch ist Strandarkirkja ein Ort der Besinnung und Ruhe, der Besucher aus aller Welt anzieht. Die schlichte Innenausstattung und die friedliche Atmosphäre, kombiniert mit der beeindruckenden Kulisse aus Meer und Bergen, machen sie zu einem idealen Ort für spirituelle Einkehr.
Die Region Selvogur, in der Strandarkirkja steht, war einst ein wohlhabendes Gebiet mit fruchtbaren Weiden und reichen Fischgründen. Doch im Laufe der Zeit führten Bodenerosion und die Abwanderung in die Städte zu einem starken Rückgang der Bevölkerung, sodass heute nur noch wenige isolierte Höfe in der Gegend existieren. Die Kirche selbst dient nur noch gelegentlich als Pfarrkirche, mit Gottesdiensten in den Sommermonaten von Mitte Mai bis August sowie an bestimmten Feiertagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Traditionelle Messen wie die „Uppskerumessa“ (Erntedankgottesdienst) Ende August und die „Veiðimannamessa“ (Fischermesse) im Oktober ziehen weiterhin Gläubige und Besucher an.
Strandarkirkja bleibt ein Ort, der die Fantasie anregt und die Seele berührt. Ihre Geschichte, geprägt von Wundern und göttlichem Beistand, sowie ihre malerische Lage machen sie zu einem einzigartigen Ziel an Islands Südküste. Ob als Pilger, Fotograf oder Reisender – wer Strandarkirkja besucht, spürt die Kraft dieses Ortes, der seit Jahrhunderten als Leuchtfeuer der Hoffnung dient.
