Titelbild: Traoré, VoA, Public Domain
Ibrahim Traoré, der 37-jährige Militärführer Burkina Fasos, verkörpert in seiner Person eine explosive Mischung aus charismatischer Hoffnungsträger und kontroversem Autokraten, der das Land in eine tiefe Ambivalenz stürzt.
Seit seinem Putsch im September 2022, mit dem er den ebenfalls putschistischen Vorgänger Paul-Henri Damiba stürzte, hat er sich als Panafrikanist und Anti-Imperialist profiliert, der das Erbe Thomas Sankaras – des legendären Revolutionsführers, der 1987 ermordet wurde – aufgreift und mit moderner Rhetorik auflädt.
Traoré, ein Geologie-Absolvent der Universität Ouagadougou, der in den Reihen der Armee aufstieg und in Konflikten wie dem Mali-Krieg kämpfte, verspricht eine „Revolution“ gegen westliche Einflüsse, die Burkina Faso seit der Kolonialzeit knechten.
Er hat französische Truppen vertrieben, die Allianz der Sahel-Staaten (AES) mit Mali und Niger gegründet und sich Russland, der Türkei und China zugewandt, um die Abhängigkeit von der ECOWAS und dem Westen zu durchbrechen. Diese Schritte haben ihm in Afrika und der Diaspora einen Kultstatus eingebracht.
Bei der Amtseinführung des ghanaischen Präsidenten John Mahama im Januar 2025 erhielt er den lautesten Applaus unter 21 Staatschefs, und Filme wie „Captain Ibrahim Traoré: The Last African Hero“ feiern ihn als „Che Guevara Afrikas“. Seine Popularität speist sich aus dem Frust über jahrzehntelange Korruption, Armut und ausländische Ausbeutung – Burkina Faso, eines der ärmsten Länder der Welt, exportiert 82 Prozent seines Goldes an westliche Konzerne, während 40 Prozent der Bevölkerung unter extremer Armut leiden. Traoré hat hier radikal eingegriffen. Er verstaatlichte zwei Goldminen, stoppte den Export von Rohgold nach Europa, inaugurierte eine nationale Raffinerie mit einer Kapazität von 150 Tonnen jährlich und etablierte erstmals nationale Goldreserven.
Dazu kommen Investitionen in Landwirtschaft, wie das Nationale Zentrum für die Verarbeitung von Kleinbauern-Baumwolle, der Bau des neuen Flughafens Ouagadougou-Donsin und die Absage an Kredite des IWF und der Weltbank, die er als „moderne Sklaverei“ brandmarkt. Im April 2025 machte er Bildung von der Kita bis zur Uni kostenlos, was Millionen Jugendliche erreichte und seinen Ruf als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit festigte. Solche Maßnahmen haben nicht nur die Jugend mobilisiert – Umfragen wie die von Afrobarometer zeigen, dass 66 Prozent der Burkinabè Militärherrschaft akzeptieren, ein Sprung von 24 Prozent im Jahr 2012 –, sondern auch ein digitales Echo erzeugt: AI-generierte Memes, Deepfake-Hymnen und Social-Media-Kampagnen malen ihn als Messias, der Afrika dekolonisiert und mentale Ketten sprengt.Doch hinter dieser glänzenden Fassade lauert eine dunklere Realität, die Traorés Regime als gefährlichen Autoritarismus entlarvt und seine Errungenschaften in Frage stellt. Die Sicherheitskrise, die er bekämpfen wollte, hat sich unter ihm verschärft: Die islamistische Insurgenz, angeführt von Gruppen wie JNIM, kontrolliert nun über zwei Drittel des Territoriums, hat mehr als zwei Millionen Menschen vertrieben und lässt 6,5 Millionen in akuter Hungersnot leiden. Traorés militaristische Strategie – Massenmobilisierung, Zwangsrekrutierung und harte Vergeltung – hat ethnische Spannungen angeheizt, Zivilisten getötet und die Armee in Korruptionsskandale verwickelt, ohne die Wurzeln des Problems anzugehen: Armut, Ungleichheit und ausbleibende Entwicklung. Statt Frieden zu bringen, hat er den Konflikt vertieft, was Analysten wie Kwesi Aning als „Fehlschlag der reinen Gewaltlösung“ kritisieren. Wirtschaftlich mag die Ressourcennationalisierung lobenswert klingen, doch sie birgt Risiken: Australische Firmen wie Sarama Resources klagen vor internationalen Gerichten, und Experten warnen vor den Fallen staatlicher Monopole – Ineffizienz, Korruption und Missmanagement –, die afrikanische Volkswirtschaften seit Jahrzehnten lähmen. Traorés Ablehnung westlicher Hilfe könnte Souveränität stärken, isoliert das Land aber in einer Zeit globaler Unsicherheit, wo humanitäre Hilfe politisiert und eingeschränkt wird. Die größte Anklage jedoch richtet sich gegen seine Herrschaftsmethoden: Er hat Wahlen auf 2029 verschoben, politische Parteien suspendiert und sich breite Notstandsbefugnisse zugesprochen, die individuelle Rechte aushebeln. Journalisten und Kritiker werden systematisch entrechtet – im Juni 2024 wurden vier prominente Reporter verhaftet und zwangsrekrutiert, im März 2025 folgten drei weitere; Sender wie Radio Omega wurden gesperrt, französische Medien wie France 24 ausgewiesen. Human Rights Watch dokumentiert eine Welle der Zensur. Wer Traoré kritisiert, riskiert nicht nur Haft, sondern den Frontdienst, wie der Fall eines Arztes zeigt, der für seine Terrorismus-Kritik trainiert und in den Krieg geschickt wurde.
Traoré rechtfertigt das mit Sätzen wie „Wer besser weiß, soll direkt beitragen“, was Selbstzensur und Angst schürt. Seine Regierung kriminalisiert Homosexualität, flirtet mit der Wiedereinführung der Todesstrafe und duldet Online-Mobs, die Dissidenten als „imperialistische Agenten“ diffamieren – eine „digital ausgelagerte Repression“, bei der der Staat nicht zensieren muss, weil Anhänger es tun. Queere Aktivisten und Oppositionelle wie Daouda Diallo, ein Menschenrechtsverteidiger, der 2023 vor dem Passamt entführt wurde, leiden unter diesem Klima der Paranoia, das Putschversuche und Attentatsgerüchte als Vorwand nutzt, um Macht zu zentralisieren. Analysten wie Enoch Randy Aikins vom Institute for Security Studies mahnen.
Traorés Popularität basiert auf Anti-West-Rhetorik, nicht auf Institutionenbau; er personalisiert die Macht, statt sie zu teilen, und riskiert, dass sein Erbe wie Sankaras – ermordet durch Verrat – in Chaos endet.Insgesamt ist Traoré ein Paradoxon. Ein Visionär, der Afrika aufweckt und Ressourcen zurückholt, doch ein Diktator, der Freiheit opfert, um zu regieren. Seine Erfolge – von Goldreserven bis Bildungsreformen – könnten langfristig wirken, wenn sie institutionell verankert würden, statt an seiner Person zu hängen. Doch die Verschlechterung der Humanitärsituation, die Unterdrückung von Dissens und die anhaltende Unsicherheit deuten auf eine Ablenkung hin: Der Kult um den „Kapitän“ kaschiert Versagen, während das Volk hungert und flieht. Burkina Faso braucht keine Helden, sondern stabile Strukturen – und Traoré, so inspirierend er wirkt, beweist, dass Panafrikanismus ohne Demokratie und Rechenschaft nur eine neue Form der Knechtschaft birgt. Seine Revolution könnte Afrika vereinen oder zerreißen; derzeit neigt die Waage zum Letzteren, es sei denn, er wendet sich von der Faust ab und der Hand zu, die aufbaut.
