Quellen DLF, verschiedene Biografien über Hitler Titelbild: Anton Huttenlocher, Public Domain :
Am 18. Juli 1925, vor genau 100 Jahren, erschien der erste Band von Adolf Hitlers „Mein Kampf“, eine Schrift, die als eine der folgenschwersten politischen Programmschriften des 20. Jahrhunderts gilt. Das Werk, entstanden während Hitlers Festungshaft in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech nach dem gescheiterten Putschversuch vom November 1923, ist nicht nur ein Produkt seiner Zeit, sondern auch ein Dokument, das die Grundzüge der nationalsozialistischen Ideologie und Hitlers persönliche Weltsicht offenlegt. Es ist ein Werk voller Hass, Lügen, Geschichtsklitterungen und manipulativer Propaganda, das zugleich eine Mischung aus stilisierter Autobiografie und ideologischer Blaupause darstellt. Die Entstehungsgeschichte des Buches, die Rolle von Rudolf Heß und die Bedingungen in Landsberg sind zentrale Aspekte, die das Verständnis dieses Werkes und seiner Wirkung vertiefen.
Hitler wurde nach dem gescheiterten Münchner Putsch, bei dem er und seine Anhänger versucht hatten, die bayerische Regierung zu stürzen, zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er letztlich nur neun Monate verbüßte. Die Haftzeit in Landsberg war für ihn keineswegs eine Zeit der harten Bestrafung, sondern bot ihm eine Art Rückzugsort, um seine Gedanken zu ordnen und sein politisches Programm zu formulieren. Die Haftbedingungen waren bemerkenswert komfortabel. Hitler war in einem separaten Trakt untergebracht, konnte zahlreiche Besucher empfangen und hatte Zugang zu ausreichend Schreibmaterial. Historiker betonen, dass Hitler den Text von „Mein Kampf“ selbst verfasste, entgegen der lange verbreiteten Legende, er habe ihn seinem Mitgefangenen Rudolf Heß diktiert. Es widerlegt diese Annahme mit Verweis auf Quellen, die belegen, dass Hitler den Text eigenhändig auf einer amerikanischen Reiseschreibmaschine des Typs Remington Portable, ein Geschenk der Gönnerin Helene Bechstein, tippte. Winifred Wagner, Schwiegertochter von Richard Wagner, berichtete zudem, dass sie Hitler große Mengen Papier ins Gefängnis schickte. Die Vorstellung, dass Heß den Text stenografierte, entstand vermutlich, weil Hitler fertige Passagen laut vorlas, um ihre Wirkung auf Mitgefangene wie Heß oder Emil Maurice zu testen, was von den Wachen als Diktat missverstanden wurde. Heß spielte jedoch eine unterstützende Rolle, indem er das Manuskript redigierte und ins Reine tippte, ohne inhaltlich wesentlichen Einfluss zu nehmen.
„Mein Kampf“ ist ein Werk, das sich durch seine Uneinheitlichkeit auszeichnet. Es verbindet eine stark verzerrte Autobiografie, in der Hitler sein Leben so darstellt, wie es ihm politisch nützlich erschien, mit einer ideologischen Programmschrift, die seine antisemitischen, rassistischen und expansionistischen Vorstellungen detailliert beschreibt. Historiker stellten fest, dass fast jede Seite des Buches nachweisbare Unwahrheiten, Halbwahrheiten oder Verdrehungen enthält. Hitler hatte wenig Interesse an sachlicher Genauigkeit oder logischer Argumentation; vielmehr dienten seine Verfälschungen der Stilisierung seiner Person als charismatischer Führer und der Legitimation seiner politischen Ziele. Besonders gefährlich war seine visionäre Beschreibung von Propaganda und Massenmanipulation, die er als Werkzeug zur Kontrolle und Mobilisierung der Bevölkerung verstand. Passagen, in denen er etwa vorschlug, „hebräische Volksverderber“ im Ersten Weltkrieg dem Giftgas auszusetzen, lassen bei heutigen Lesern sofort Assoziationen zum Holocaust aufkommen, auch wenn Hitler hier noch keinen konkreten Plan für den Völkermord formulierte.
Rudolf Heß, der während der Haftzeit in Landsberg an Hitlers Seite war, war ein fanatischer Anhänger des Führerkults und überzeugter Antisemit. Seine Rolle während der Entstehung von „Mein Kampf“ war weniger die eines Mitautors als vielmehr die eines loyalen Unterstützers, der Hitlers Ideen bewunderte und förderte. Heß, geboren 1894 in Alexandria, Ägypten, hatte bereits vor seiner Inhaftierung eine enge Beziehung zu Hitler aufgebaut. Nach seiner Teilnahme am Hitler-Putsch 1923 wurde er ebenfalls zu 18 Monaten Festungshaft verurteilt. In Landsberg führte er lange Gespräche mit Hitler, las dessen Manuskript und brachte Elemente wie den „Raumgedanken“ des Geopolitikers Karl Haushofer ein, der ihn im Gefängnis besuchte. Dieser Gedanke, der die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ rechtfertigte, wurde zu einem zentralen Bestandteil der NS-Ideologie. Heß war jedoch kein Ghostwriter, sondern ein ergebener Gefolgsmann, der Hitlers Visionen teilte und später als sein Stellvertreter in der NSDAP eine zentrale Rolle spielte, bis er 1941 mit seinem spektakulären Flug nach Großbritannien aus der Gunst des Regimes fiel.
Die Haftzeit in Landsberg war für Hitler nicht nur eine Phase der schriftstellerischen Arbeit, sondern auch eine Zeit der politischen Neuorientierung. Nach dem Scheitern des Putsches gab er seine Versuche auf, aus dem Gefängnis heraus direkt Einfluss auf die NSDAP zu nehmen, und konzentrierte sich stattdessen auf die Formulierung seiner Ideologie. Der erste Band von „Mein Kampf“, der 1925 erschien, wurde zunächst nur in kleiner Auflage gedruckt, fand aber unter Nationalsozialisten schnell Anklang. Der zweite Band, 1926 veröffentlicht, war stärker programmatisch und beschrieb Hitlers außenpolitische Pläne, darunter die Eroberung von „Lebensraum“ und die Bekämpfung des Judentums. Mit dem Aufstieg der NSDAP in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren wuchs die Verbreitung des Buches rasant. 1933, im Jahr der Machtübernahme, wurden rund 900.000 Exemplare verkauft, und bis 1945 erreichte die Gesamtauflage etwa 12,4 Millionen. Entgegen der Nachkriegslegende eines „ungelesenen Bestsellers“ zeigen alliierte Befragungen, dass etwa 20 bis 30 Prozent der erwachsenen Deutschen das Buch ganz oder teilweise gelesen hatten.
Die Wirkung von „Mein Kampf“ war enorm und nachhaltig. Es diente nicht nur als ideologisches Fundament der NSDAP, sondern auch als Werkzeug, um die Bevölkerung auf die Ziele des Regimes einzuschwören.
Die darin enthaltenen Lügen, etwa über die angebliche jüdische Weltverschwörung, und die Hetze gegen Minderheiten trugen zur Radikalisierung der Gesellschaft bei. Historiker weisen darauf hin, dass das Buch trotz seines unbeholfenen Stils und seiner Länge eine logisch konstruierte Weltanschauung enthält, die Hitler nach 1933 weitgehend in die Tat umsetzte. Gleichzeitig warnen sie davor, „Mein Kampf“ zu mystifizieren. Eine unkommentierte Veröffentlichung birgt die Gefahr der Verharmlosung, weshalb die kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte von 2016 mit über 3.700 Fußnoten als Meilenstein gilt, um das Werk wissenschaftlich einzuordnen.
Die Geschichte von „Mein Kampf“ ist auch eine Mahnung. Die manipulative Kraft von Propaganda, wie sie Hitler in seinem Buch beschrieb, bleibt aktuell. In einer Zeit, in der soziale Medien und Algorithmen die Verbreitung von Hass und Desinformation erleichtern, zeigt das Werk, wie gefährlich vereinfachende Narrative sein können. Noch heute ist es Leitfaden der Nazis. 100 Jahre nach seiner Veröffentlichung bleibt „Mein Kampf“ ein toxisches Relikt, das nicht nur die Schrecken der NS-Zeit dokumentiert, sondern auch die Verantwortung der Gesellschaft unterstreicht, sich aktiv gegen Hass und Lügen zu stellen.
