Titelbild Beispielbild Hauptquartier von Hoffmann/Schloss Ermreuth/ Technokrat
Der Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen im Jahr 1980 stellt ein dunkles Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte dar, das eng mit dem Erbe des Nationalsozialismus und dem Aufstieg neonazistischer Gruppen verknüpft ist, und zeigt eindrücklich, welche Zerstörung und Trauer solche Ideologien auch Jahrzehnte nach dem Ende des Dritten Reiches anrichten können.
Shlomo Lewin, geboren 1911 in Jerusalem als Sohn eines Rabbiners, wuchs in Deutschland auf, studierte Religionspädagogik und arbeitete als Lehrer in jüdischen Gemeinden, bis die nationalsozialistische Verfolgung ihn 1935 zur Flucht zwang – zunächst ins Elsass, dann nach Paris und schließlich 1938 ins britische Mandatsgebiet Palästina.
Dort engagierte er sich im Zweiten Weltkrieg in der British Army und später in der Hagana für die Gründung Israels, bevor er in den 1950er Jahren im israelischen Ministerium arbeitete. 1960 kehrte er überraschend nach Deutschland zurück, gründete in München den Verlag Ner Tamid, der sich auf jüdische Literatur spezialisierte, und zog später nach Erlangen, wo er Frida Poeschke kennenlernte, die Witwe des ehemaligen Erlanger Oberbürgermeisters Michael Poeschke. Gemeinsam setzten sie sich für den jüdisch-christlichen Dialog ein, organisierten Veranstaltungen wie die „Woche der Brüderlichkeit“ und warben aktiv gegen Rechtsextremismus, was Lewin 1976 das Verdienstkreuz der Bundesrepublik einbrachte. Lewins Engagement ging jedoch tiefer. Als Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken warnte er öffentlich vor neonazistischen Umtrieben, hielt Reden gegen Holocaust-Leugner und organisierte Proteste gegen Gruppen wie die Wehrsportgruppe Hoffmann, die er als direkte Erben der NS-Ideologie sah. Diese Aktivitäten machten ihn zu einer prominenten Zielscheibe für Rechtsextreme, die in ihm einen Symbolträger jüdischer Präsenz und Widerstands in Deutschland erkannten. Am Abend des 19. Dezember 1980 drang der 22-jährige Uwe Behrendt, ein Mitglied der verbotenen neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann, in das Haus des Paares in der Ebrardstraße 20 in Erlangen ein, erschoss Lewin an der Tür mit Schüssen in Brust, Arm und Kopf und tötete anschließend Poeschke in einem anderen Zimmer auf ähnliche Weise – ein kaltblütiger Doppelmord, der aus antisemitischen Motiven begangen wurde und Spuren wie eine zerbrochene Sonnenbrille und ein Schalldämpfer-Bruchstück hinterließ. Behrendt, ein enger Vertrauter des Gruppenführers Karl-Heinz Hoffmann, floh unmittelbar nach der Tat über die DDR und Österreich in den Libanon, wo Hoffmann ihn versteckte und sogar zum „Leutnant“ beförderte, bevor Behrendt 1981 unter mysteriösen Umständen Suizid beging – oder, wie einige Quellen andeuten, bei einem Fluchtversuch getötet wurde.
Hoffmann, der die Gruppe als paramilitärische Einheit mit Verbindungen zur PLO aufbaute und sich als Opfer einer „jüdischen Verschwörung“ stilisierte, leugnete jede Beteiligung, wurde 1984 angeklagt, aber 1986 freigesprochen, da die Justiz Behrendt als Alleintäter einstufte, obwohl Beweise auf eine breitere Verschwörung hindeuteten, einschließlich Rekrutierungsversuchen für Morde an Juden innerhalb der Gruppe.
Die Motive wurzelten tief in der neonazistischen Ideologie: Lewin hatte Hoffmanns Aktivitäten öffentlich angeprangert, etwa in einer Rede 1977 gegen einen „Auschwitz-Kongress“ von Holocaust-Leugnern, und wurde in der WSG-Zeitschrift „Kommando“ antisemitisch diffamiert; zudem erfand Hoffmann nach dem Oktoberfestattentat 1980, bei dem ein WSG-Mitglied involviert war, Verschwörungstheorien, die Lewin als Teil eines Mossad-Plots darstellten.
Die polizeiliche Untersuchung war von Anfang an von Versäumnissen und Vertuschungen geprägt: Statt die offensichtliche neonazistische Spur zu verfolgen – etwa durch die Sonnenbrille, die der WSG-Mitgliederin Franziska Brinkmann gehörte –, suchten Ermittler monatelang im persönlichen Umfeld der Opfer, spekulierten über Mossad-Agenten, Finanzstreitigkeiten oder sogar eine „israelische Ehefrau“ Lewins, was zu medialen Verleumdungen führte und antisemitische Stereotype bediente.
Erst über ein halbes Jahr nach der Tat kam es zu Festnahmen, und der Prozess begann erst 1984; offene Fragen zu Behrendts Flucht, weiteren Tätern und behördlichen Fehlern persistieren bis heute, verstärkt durch die Weigerung des Verfassungsschutzes, Akten freizugeben, und Enthüllungen 2023 über V-Leute in Hoffmanns Umfeld.
Dieser Mord, oft als „Trauma von Erlangen“ bezeichnet, verdeutlicht die anhaltende Bedrohung durch Neonazis, die das NS-Erbe fortsetzen, und die gesellschaftliche Verdrängung solcher Taten.
In den 1980er Jahren wurde der Rechtsterrorismus bagatellisiert, ähnlich wie später beim NSU-Komplex, was zu einer verzögerten Aufarbeitung führte. Heute wird an Lewin und Poeschke durch Gedenkstätten erinnert, wie die umbenannte Grünanlage „Lewin-Poeschke-Anlage“ in Erlangen seit 2010, jährliche Kundgebungen am 19. Dezember, organisiert von Initiativen wie „Kritisches Gedenken Erlangen“, und Publikationen, die die Opfer ehren und vor dem Fortleben faschistischer Ideen warnen – ein Mahnmal dafür, wie die Schatten des Nationalsozialismus weiterhin Leid und Zerstörung anrichten, wenn sie nicht konsequent bekämpft werden.
