Titelbild Beispielbild Pixabay
Quelle AP und ReutersIn den Straßen und Vororten von Chicago, der pulsierenden Metropole im Herzen des Mittleren Westens, hat sich in den letzten Tagen eine Atmosphäre der Spannung und Unsicherheit breitgemacht, die von den lauten Sirenen der Polizeifahrzeuge, den gedämpften Gesprächen in den Cafés und den eiligen Schritten der Pendler durchdrungen wird. Am gestrigen Tag, einem trüben Herbsttag, der von einem leichten Nieselregen begleitet wurde, trafen die ersten Einheiten der texanischen Nationalgarde in der Region ein, ein Ereignis, das wie ein Donnerschlag durch die Nachrichtenkanäle hallte und die ohnehin schon hitzigen Debatten über die Grenzen der föderalen Macht weiter anheizte. Präsident Donald Trump, der seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus mit unnachgiebiger Härte gegen das, was er als „Chaos in den blauen Städten“ bezeichnet, vorgeht, hatte diese Entscheidung als notwendigen Schutzwall gegen Kriminalität und Einwanderungsproteste verkündet, doch für viele in Chicago fühlte es sich an wie der Vorbote einer ungewollten Besatzung, einer Eskalation, die die fragile Balance zwischen Bund und Bundesstaaten auf die Probe stellt.Die Ankunft der etwa 200 Soldaten aus Texas, die mit ihren olivgrünen Uniformen und schweren Rucksäcken aus den Transportfahrzeugen stiegen, fand statt in Elwood, einem unscheinbaren Vorort südwestlich der Stadt, wo das U.S. Army Reserve Center als temporäres Lager diente. Die Bilder, die von Journalisten eingefangen wurden – Soldaten, die ihr Gepäck schleppten, während sie in Formation antraten, unter dem wachsamen Blick von Militärpolizisten und dem fernen Summen der Chicagoer Skyline – verbreiteten sich rasend schnell in den sozialen Medien und lokalen Berichten. Gleichzeitig bereiteten sich rund 300 Mitglieder der Illinois National Guard auf ihren Einsatz vor, federalisiert durch Trumps Order, die sie von ihrer üblichen Treue zum Gouverneur löste und stattdessen in den Dienst des Präsidenten stellte. Diese Truppen, die aus den ländlichen Ecken des Staates stammten, wo viele von ihnen als Lehrer, Mechaniker oder Feuerwehrleute ihr tägliches Brot verdienten, wurden nun in eine Rolle gedrängt, die sie selbst vielleicht nur widerwillig annahmen. Den Schutz föderaler Einwanderungsbeamte vor den wachsenden Protesten, die seit Wochen die Stadt durchzogen.Der Hintergrund dieser Entsendung reicht tiefer in die anhaltenden Spannungen um Trumps aggressive Immigrationspolitik zurück, die er mit der Präzision eines Chirurgen – oder, wie Kritiker sagen, eines Bulldozers – umsetzt. Seit dem Sommer 2025 hatte die Immigration and Customs Enforcement (ICE) ihre Razzien in Chicago intensiviert, oft begleitet von Szenen der Konfrontation. Demonstranten, die mit Plakaten und Gesängen die Straßen blockierten, Familien, die in Panik ihre Türen verriegelten, und vereinzelte Schüsse, wie jener fatale Vorfall vor einer Woche, bei dem Grenzschützer eine Frau in der Nähe eines ICE-Zentrums in Broadview trafen, was die Flammen der Empörung nur noch höher lodern ließ. Trump, der Chicago in seinen Reden wiederholt als Symbol für „demokratisches Versagen“ brandmarkte, argumentierte, dass die lokalen Behörden – geführt von dem progressiven Bürgermeister Brandon Johnson und dem demokratischen Gouverneur JB Pritzker – nicht in der Lage seien, Ordnung zu wahren. In einer Rede am Labor Day hatte er vor jubelnden Anhängern gewettert, man müsse die „Demokratie verteidigen“, indem man die „Humanität jedes Einzelnen“ schütze, eine Formulierung, die von Gegnern als zynische Verhüllung für autoritäre Maßnahmen enttarnt wurde. Die Nationalgarde, so die offizielle Begründung aus dem Weißen Haus, diene dem Schutz bundeseigener Einrichtungen und dem Unterstützen von ICE-Operationen, ohne direkt in die innere Sicherheit einzugreifen – doch in der Praxis verschwimmen diese Linien, und die bloße Präsenz bewaffneter Truppen in einer Stadt mit über 2,7 Millionen Einwohnern weckt Erinnerungen an dunklere Kapitel der US-Geschichte, von den Unruhen der 1960er Jahre bis hin zu den Kontroversen um den Einsatz in Portland.Gouverneur Pritzker, ein Mann mit einem scharfen Verstand und einer Vorliebe für direkte Worte, reagierte mit der Vehemenz eines Sturms, der sich über den Lake Michigan zusammenbraut. In einer Pressekonferenz am 6. Oktober, nur Stunden nach der formellen Order, nannte er die Maßnahme eine „unverfassungsmäßige Invasion“, einen „Machtgriff“, der die Grundprinzipien der Demokratie untergräbt. „Illinois wird nicht zulassen, dass die Trump-Administration ihren autoritären Marsch ohne Widerstand fortsetzt“, erklärte er, während seine Worte von den umstehenden Journalisten widerhallten, und versprach, „jeden Hebel“ anzuziehen, um die Truppen aufzuhalten. Die Klage, die er gemeinsam mit der Stadt Chicago am Montag einreichte, argumentierte vor einem Bundesgericht in Chicago, dass Trumps Entscheidung die Posse Comitatus Act verletze, ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert, das den Einsatz des Militärs für innere Polizeiaufgaben einschränkt, und dass sie rein politisch motiviert sei – ein Versuch, demokratisch geführte Städte zu disziplinieren. Eine Richterin, April Perry, lehnte eine vorläufige Verfügung ab, was die Ankunft der Texaner ermöglichte, doch das Verfahren läuft weiter, und Pritzker hat bereits Verbündete wie Senator Dick Durbin mobilisiert, der die Truppen als „politische Schachfiguren“ verurteilte. Bürgermeister Johnson, dessen Amtszeit von Erfolgen bei der Kriminalitätsbekämpfung geprägt ist – eine 30-prozentige Reduktion von Morden in den letzten Monaten –, warnte, dass der Einsatz alle Fortschritte zunichtemachen könnte und die Stadt in einen Kreislauf der Konfrontation stürze.Währenddessen kocht die öffentliche Meinung in Chicago hoch, einer Stadt, die wie ein Mosaik aus Vierteln gewebt ist. Der pulsierenden South Side mit seinen soulvollen Jazzklubs und Gemeindezentren, wo der Unmut über die Razzien am größten ist, den gentrifizierten North Side mit ihren hippen Bars, in denen Liberale über die Erosion der Rechte debattieren, und den immigrantendichten Enklaven wie Little Village, wo Familien in ständiger Furcht leben. Proteste haben zugenommen, mit Tausenden, die am 30. September durch die Loop marschierten, Schilder schwenkend mit Slogans wie „Keine Soldaten in unseren Straßen“ und „Trump’s Invasion stoppen“. Die ACLU von Illinois hat parallel eine separate Klage gegen das Department of Homeland Security eingereicht, die Vorfälle von Gewalt gegen Journalisten und Demonstranten anprangert, und warnt vor einer „Kampagne der Einschüchterung“. Auf der anderen Seite feiern Trump-Anhänger in den Vororten den Schritt als notwendigen Schutz, mit Social-Media-Posts, die von „roten Staaten, die zusammenhalten“ schwärmen und Gouverneur Greg Abbott von Texas loben, der die Entsendung als Akt der Solidarität darstellt. Doch selbst unter den Soldaten, die nun in provisorischen Baracken lagern, wo der Geruch von Kaffee und Desinfektionsmittel die Luft erfüllt, gibt es gemischte Gefühle – einige sehen es als Pflicht, andere als unangenehmen Zwang in einer politisierten Arena.
Diese Entwicklung ist nicht isoliert; sie webt sich in ein größeres Geflecht ein, das Trumps Regierungsstil prägt. Eine Präsidialmacht, die mit Notstandsbefugnissen flirtet, wie der drohende Einsatz des Insurrection Act, der es dem Präsidenten erlauben würde, das Militär ohne Zustimmung der Staaten einzusetzen. In Portland, wo kalifornische Truppen ähnlich umstritten eintrafen, hat ein Gericht die Deployment vorübergehend blockiert, was Trump zu wütenden Tweets provozierte und Gouverneur Gavin Newsom zu Drohungen mit Gegenklagen trieb. Die Verlängerung der kalifornischen Nationalgarde bis Januar 2026 deutet auf eine langfristige Strategie hin, die Kritiker als „Normalisierung militärischer Gewalt im Inland“ brandmarken. Für Chicago, eine Stadt, die aus den Trümmern des Großen Brandes von 1871 wiederauferstanden ist und Generationen von Einwanderern integriert hat, stellt dies eine existentielle Herausforderung dar.
Wird die Präsenz der Garde die Spannungen entschärfen, indem sie ICE schützt und Proteste dämpft, oder wird sie sie entfachen, zu neuen Unruhen führen und die Risse in der amerikanischen Gesellschaft vertiefen? Die nächsten Tage, mit dem geplanten Einsatz ab Mittwoch, werden es zeigen – doch eines ist gewiss: In den Schatten der Wolkenkratzer, wo der Wind vom See her weht, hat sich die Politik nicht länger als ferner Washington-Konflikt angefühlt, sondern als greifbare Realität, die das tägliche Leben aller Betroffenen durchdringt.
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