Titelbild: Beispielbild Pixabay
Der Christopher Street Day (CSD) ist eine jährliche Veranstaltung, die weltweit die Rechte und Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Intersexuellen und queeren Menschen (LGBTIQ+) feiert und fördert. Inspiriert von den Stonewall-Aufständen von 1969 in New York, ist der CSD sowohl ein Fest der Vielfalt als auch eine politische Demonstration für Akzeptanz und Gleichberechtigung. In Deutschland finden CSDs in vielen Städten statt, von großen Metropolen wie Berlin und München bis hin zu kleineren Städten wie Riesa oder Schönebeck.
Doch trotz der Fortschritte in der gesellschaftlichen Akzeptanz von LGBTIQ+-Personen bleibt Gewalt gegen diese Gruppe ein ernsthaftes Problem, das sich auch bei CSD-Veranstaltungen zeigt.
Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen, oft als queerfeindliche Hasskriminalität bezeichnet, nimmt in Deutschland zu. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts (BKA) wurden 2022 bundesweit 1.005 Straftaten im Bereich „sexuelle Orientierung“ und 417 Straftaten im Bereich „geschlechtliche Diversität“ registriert, davon 227 bzw. 82 Gewaltdelikte. Dies stellt einen Anstieg von etwa 16 % im Vergleich zu 2021 (870 Straftaten) dar. Für 2023 zeigen Zahlen aus Baden-Württemberg einen weiteren Anstieg, 100 Straftaten unter „sexuelle Orientierung“ und 65 unter „geschlechtsbezogene Diversität“. Im Jahr 2024 wurden in Baden-Württemberg 121 Straftaten unter „sexuelle Orientierung“ und 91 unter „geschlechtsbezogene Diversität“ erfasst.
Die EU-Grundrechteagentur (FRA) veröffentlichte 2024 die Ergebnisse ihres dritten LGBTIQ-Surveys, an dem über 100.000 Personen teilnahmen, darunter 16.000 aus Deutschland. Laut dem Bericht „LGBTIQ equality at a crossroads- progress and challenges“ erleben in Europa mehr Gewalt, Belästigung und Mobbing als zuvor, wobei jüngere Menschen, Trans- und Intersex-Personen besonders betroffen sind. In den fünf Jahren vor der Umfrage berichteten 11 % der Befragten von körperlicher oder sexueller Gewalt, bei Trans-Personen waren es 17 % und bei Intersex-Personen 22 %. Mehr als die Hälfte der Befragten (54 %) erlebte hassmotivierte Belästigung, bei Trans- und Intersex-Personen waren es zwei Drittel.
Die Münchner Fachstelle Strong registrierte 2021 insgesamt 165 queerfeindliche Vorfälle, davon 88 in München, die von Beleidigungen (12 Fälle) über Bedrohungen (29) und Tätlichkeiten (30) bis hin zu sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen (29) reichten. Im Vergleich dazu wurden 2020 101 Fälle und 2019 nur 17 Straftaten gegen die sexuelle Orientierung von der Bayerischen Polizei erfasst, was auf eine hohe Dunkelziffer hinweist.
Ein zentrales Problem ist die hohe Dunkelziffer. Laut dem FRA-Survey von 2020 gingen nur 13 % der Betroffenen in Deutschland zur Polizei, um physische oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen (EU-Durchschnitt: 14 %). 23 % vermieden eine Anzeige aus Angst vor homo- oder transfeindlichen Reaktionen der Polizei. Gründe für die Zurückhaltung sind unter anderem Scham, fehlendes Vertrauen in die Polizei oder die Einschätzung, dass eine Anzeige keine Konsequenzen hätte. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die offiziellen Statistiken nur einen Bruchteil der tatsächlichen Vorfälle widerspiegeln.
Beleidigungen, homophobe oder transphobe Beschimpfungen, wie etwa „Schwuchtel“ oder „Transe“.
Schläge, Tritte, Körperverletzung, wie im Fall eines trans Mannes in Münster 2022, der beim CSD angegriffen wurde und später starb.
Belästigungen und Übergriffe, wie in München 2021 wurden dokumentiert.
Zerstörung von Regenbogenflaggen, wie in Leiselheim oder Weißwasser, 2024.
Bedrohungen, Einschüchterungen oder Mobbing, insbesondere in Schulen, wo 67 % der Befragten laut FRA von Mobbing berichten.
Trans- und Intersex-Personen sind besonders häufig betroffen. Laut FRA erleben sie doppelt so oft körperliche oder sexualisierte Gewalt wie der LGBTIQ+-Durchschnitt. Auch intersektionale Diskriminierung spielt eine Rolle. LGBTIQ+-Personen, die zusätzlich einer ethnischen Minderheit angehören oder eine Behinderung haben, sind stärker gefährdet.
Gewalt im Kontext von CSD-Veranstaltungen
CSDs sind für viele LGBTIQ+-Personen ein Ort der Sichtbarkeit und des Empowerments, aber auch ein Ziel für Angriffe. Die Zunahme von Übergriffen bei CSDs zeigt, dass diese Veranstaltungen nicht nur Feste, sondern auch politische Demonstrationen sind, die gezielt provoziert werden.
Ein 25-jähriger trans Mann wurde beim CSD angegriffen, nachdem er Frauen vor Beleidigungen schützen wollte. Er fiel ins Koma und starb. Der Vorfall wurde als queerfeindliche Gewalttat eingestuft, und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Karlsruhe 2022: Beim CSD wurden mehrere Personen angegriffen, eine Regenbogenflagge verbrannt, und sechs Personen erlitten leichte Verletzungen. Der Staatsschutz ermittelt, doch es gab Kritik an der Polizei, die angeblich nicht ausreichend eingriff.
Hannover, 2024, mehrere Gewalttaten, Beleidigungen und sexuelle Belästigungen wurden rund um den CSD gemeldet. Großplakate zur Ankündigung des CSD wurden zerstört, und Regenbogenflaggen wurden angezündet oder entwendet.
In Bielefeld, 2025, führten Kontroversen um die Teilnahme von Fetischgruppen zu Diskussionen über „Konsenskonzepte“, was die Spannungen innerhalb der Community verdeutlicht.
Der CSD wurde kurzfristig wegen einer „abstrakten Bedrohung“ abgesagt, was Ängste vor Gewalt und Unsicherheit in der Community verstärkte.
Die Gewalt bei CSDs wird oft von rechtsextremen Gruppen oder Einzelpersonen mit homo- oder transphoben Einstellungen verübt. Die Amadeu Antonio Stiftung dokumentierte 2024 55 gezielte Störungen, Bedrohungen und Übergriffe auf CSDs, so viele wie nie zuvor, und sieht darin eine neue Qualität rechter Gewalt, die queere Sichtbarkeit gezielt angreift.
In Lüdenscheid 2024 kündigte eine rechtsextreme Gruppe ihre Teilnahme an, um den CSD zu stören. In Ostdeutschland werden CSDs regelmäßig von Neonazi-Strukturen bedroht.
In Frankfurt würde 2024 ein Mann homophob beleidigt, und eine 13-Jährige aus der LGBTIQ+-Community wurde mit Plastikflaschen beworfen. Die AfD und Teile der Union werden dafür kritisiert, queerfeindliche Narrative zu verstärken, die Gewalt legitimieren. Dies schafft ein Klima, in dem Angriffe auf CSDs als gesellschaftlich akzeptabel wahrgenommen werden können.
Die Zunahme queerfeindlicher Gewalt wird durch mehrere Faktoren begünstigt. Je sichtbarer LGBTIQ+-Personen werden, desto stärker reagieren konservative oder rechtsextreme Gruppen mit Ablehnung. Die gestiegene Offenheit, 57 % der Befragten in Deutschland sind laut FRA offen bezüglich ihrer Identität, führt zu mehr Konfrontationen. Rechte Parteien wie die AfD nutzen Anti-LGBTIQ+-Rhetorik als Teil ihres „Kulturkampfs“, was Gewalt gegen queere Menschen anheizt.
Mangelndes Vertrauen in die Polizei und unzureichende Schulungen führen dazu, dass Betroffene Gewalt nicht anzeigen oder sich nicht ernst genommen fühlen.
Die queere Community fordert die Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz, um den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität zu verbessern. Die Innenministerkonferenz 2023 beschloss, die Bekämpfung queerfeindlicher Gewalt zu verbessern, unter anderem durch Schulungen für Polizeibeamte und die Einrichtung von Ansprechpersonen für die LGBTIQ+-Community. In Sachsen-Anhalt gibt es solche Ansprechstellen bereits, die Schulungen zeigen erste Erfolge. Präventionsprogramme in Schulen und öffentlichen Einrichtungen sollen Vorurteile abbauen und Akzeptanz fördern. Laut FRA thematisieren Schulen LGBTIQ+-Themen zunehmend positiv, doch Mobbing bleibt ein Problem. Die FRA fordert eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber queerfeindlicher Gewalt, einschließlich der Berücksichtigung von Voreingenommenheit als erschwerendem Faktor in Strafverfahren.
Die Polizei steht in der Kritik, nicht immer angemessen auf queerfeindliche Gewalt zu reagieren. Beispiele wie der Vorfall in Karlsruhe 2022, wo Betroffene das Verhalten der Polizei als unzureichend empfanden, verdeutlichen das Problem. Gleichzeitig gibt es Fortschritte: In Sachsen-Anhalt wurden 2024 spezielle Kommunikationsteams für CSDs eingeführt, um sensibler mit der Community umzugehen. Die Polizei Sachsen rief 2025 dazu auf, auch anonym Anzeige zu erstatten, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Amadeu Antonio Stiftung fordert verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für CSDs, um queere Sichtbarkeit zu gewährleisten.Die Community betont die Notwendigkeit von gesellschaftlicher und internationaler Solidarität, da LGBTIQ+-Personen weltweit Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Viele sehen das aktuelle TSG als diskriminierend und fordern eine Modernisierung, um trans Personen besser zu schützen.
Die Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen ist oft mit anderen Formen der Diskriminierung verknüpft. Ein Bericht von Beatrice Cobbinah im Rahmen der UN-Antirassismus-Konvention (ICERD) zeigt, dass queere Menschen, die einer ethnischen Minderheit angehören, doppelt diskriminiert werden. Rassismus und Homo-/Transphobie verschränken sich, was die Betroffenen besonders vulnerabel macht. In Debatten um CSDs wird zudem kritisiert, dass einige Veranstaltungen nicht ausreichend intersektionale Ansätze berücksichtigen, was zu Spannungen innerhalb der Community führt.
Der CSD ist ein Symbol für die Errungenschaften der LGBTIQ+-Bewegung, aber auch ein Spiegel der anhaltenden Herausforderungen. Die steigenden Zahlen queerfeindlicher Gewalt, insbesondere bei CSDs, zeigen, dass Akzeptanz und Sicherheit noch lange nicht flächendeckend gewährleistet sind. Trans- und Intersex-Personen sind besonders gefährdet, und die hohe Dunkelziffer sowie das mangelnde Vertrauen in die Polizei erschweren die Bekämpfung dieser Gewalt. Politische Maßnahmen, bessere Polizeiarbeit, gesellschaftliche Sensibilisierung und der Zusammenhalt der Community sind entscheidend, um Fortschritte zu erzielen. Der CSD bleibt ein wichtiger Ort des Protests und der Sichtbarkeit, doch er fordert auch einen verstärkten Schutz, um ein sicheres Feiern und Demonstrieren zu ermöglichen.