Titelbild: DDR Beispielbild, kasaan media, 2025
Werner Weinhold, 1949 in Dresden geboren, war ein gelernter Dreher und Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, der bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich hatte. Zwischen 1966 und 1975 war er mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Autodiebstählen und eines Sittlichkeitsdelikts, und befand sich 1975 gerade auf Bewährung, als er sich einem neuen Ermittlungsverfahren durch eine spektakuläre Flucht entzog. Motiviert unter anderem von privaten Problemen wie Liebeskummer, aber auch von dem Wunsch, die DDR zu verlassen, desertierte der 26-Jährige am 15. Dezember 1975 von seiner Einheit im brandenburgischen Spremberg.
Er stahl aus der Kaserne Waffen, darunter eine Kalaschnikow-Maschinenpistole mit Munition, sowie ein Fahrzeug und machte sich auf den Weg Richtung Westen.
Die Flucht entwickelte sich rasch zu einer der größten Personenfahndungen in der Geschichte der DDR. Weinhold wechselte mehrmals die Fahrzeuge, indem er Autos stahl – unter anderem einen Trabant und später einen Wartburg in Gera.
Auf der Autobahn nahe Wüstenbrand im Bezirk Karl-Marx-Stadt entzog er sich einer Polizeikontrolle, indem er die Beamten mit seiner Waffe bedrohte. Bis zu 8000 Kräfte, darunter Volkspolizisten, NVA-Soldaten, Grenztruppen und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, umgangssprachlich Stasi), waren in Alarmbereitschaft und suchten nach dem bewaffneten Deserteur. Die Behörden vermuteten richtig, dass er im südlichen Teil der DDR die innerdeutsche Grenze überqueren wollte. Am 16. Dezember wurde sein abgestellter Wartburg bei Schackendorf im Kreis Hildburghausen gefunden, was die Fahndung weiter intensivierte.Weinhold setzte seinen Weg zu Fuß fort, stellte das letzte Fahrzeug auf einem LPG-Hof ab und drang in das stark gesicherte Grenzgebiet ein. Er übernachtete zeitweise in einer Scheune und versorgte sich in einem Eigenheim mit Vorräten. In der kalten Dezembernacht des 19. Dezember 1975, gegen 2:15 Uhr, kam es nahe Veilsdorf oder Harras im thüringischen Kreis Hildburghausen zur tragischen Konfrontation. Ein Grenzposten, bestehend aus dem 21-jährigen Gefreiten Klaus-Peter Seidel und dem Soldaten Jürgen Lange, entdeckte den Flüchtling. Es fielen Schüsse – nach späteren gerichtlichen Feststellungen feuerte Weinhold zuerst und tötete beide Grenzsoldaten mit seiner Waffe. Er überwand die Grenzanlagen und gelangte erfolgreich in die Bundesrepublik Deutschland.Kurz darauf erreichte Weinhold die Wohnung von Verwandten im westfälischen Marl beziehungsweise Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen. Am 21. Dezember 1975 wurde er dort von der westdeutschen Polizei festgenommen, nachdem die DDR-Behörden den Vorfall öffentlich gemacht hatten. Die DDR stellte sofort ein Auslieferungsersuchen, das jedoch abgelehnt wurde, da Weinhold in der DDR mit der Todesstrafe rechnen musste. Der Fall wurde zu einem hochpolitischen Streitpunkt zwischen den beiden deutschen Staaten und erhielt massive Medienaufmerksamkeit auf beiden Seiten.In der Bundesrepublik kam es zu zwei Prozessen. Im ersten Verfahren vor dem Landgericht Essen 1976 wurde Weinhold freigesprochen, da das Gericht seine Angaben glaubte, wonach er in Notwehr gehandelt habe, nachdem die Grenzer zuerst geschossen hätten.
Die DDR protestierte scharf und boykottierte zunächst die Ermittlungen. Nach einer Revision durch den Bundesgerichtshof folgte 1978 ein zweites Verfahren vor dem Landgericht Hagen. Hier kooperierte die DDR indirekt durch ein Beweissicherungsverfahren in Dresden (die sogenannten „Dresdener Protokolle“), das Zeugenaussagen von Grenzoffizieren ermöglichte. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Weinhold zuerst geschossen hatte, verurteilte ihn wegen zweifachen Totschlags und bewaffneten Autodiebstahls zu fünfeinhalb Jahren Haft, milderte jedoch die Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit. Er wurde 1982 vorzeitig entlassen.
Nach seiner Freilassung plante das MfS offenbar die Ermordung Weinholds durch Agenten im Westen, was jedoch nicht ausgeführt wurde; entsprechende Vorwürfe gegen Stasi-General Gerhard Neiber führten 1993 zu keiner Anklage wegen unklarer Beweislage. Weinhold lebte weiter in der Bundesrepublik, geriet aber später erneut in Konflikte mit dem Gesetz, unter anderem 2005 wegen einer Schießerei in einer Kneipe. Er starb am 2. Mai 2024 im Alter von 74 Jahren. Sein Fall bleibt ein kontroverses Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte, das die Härte des DDR-Grenzregimes, die Verzweiflung von Flüchtlingen und die politischen Spannungen des Kalten Krieges eindrucksvoll beleuchtet.
