In Europa war der Sommer 1975 von einer Mischung aus Optimismus und Herausforderungen geprägt. In Deutschland etwa stand die Bundesrepublik unter der Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt vor wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Ölkrise von 1973 wirkte noch nach, und die Inflation sowie die Arbeitslosigkeit waren spürbare Probleme. Dennoch zeigte sich die deutsche Gesellschaft resilient, und der Sommer brachte auch Momente der Leichtigkeit. Die Menschen strömten an die Badeseen, in Biergärten oder an die Nord- und Ostsee, um die warmen Tage zu genießen. Die Mode war bunt und expressiv, geprägt von Schlaghosen, Plateauschuhen und farbenfrohen Mustern, die den Geist der 70er Jahre widerspiegelten. Musikalisch dominierten Bands wie ABBA, die mit ihrem Song „SOS“ in diesem Jahr die Charts eroberten, und die Disco-Welle begann, die Tanzflächen zu erobern.
Politisch war der Sommer 1975 von bedeutenden Ereignissen geprägt. In Helsinki wurde im August die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterzeichnet, ein Meilenstein im Kalten Krieg. Diese Vereinbarung zwischen Ost und West, unterzeichnet von 35 Staaten, darunter die USA, die Sowjetunion und die meisten europäischen Länder, legte die Grundlage für eine Entspannungspolitik und stärkte die Zusammenarbeit in Bereichen wie Menschenrechte, Wirtschaft und Sicherheit. Für viele war dies ein Hoffnungsschimmer, dass der Kalte Krieg trotz der Spannungen entschärft werden könnte. Gleichzeitig brodelte es in anderen Teilen der Welt. In Vietnam war der Krieg im April 1975 mit dem Fall von Saigon zu Ende gegangen, was den Sommer 1975 für viele Vietnamesen und die internationale Gemeinschaft zu einem Moment des Umbruchs machte.
In den USA war der Sommer 1975 von einer gewissen Ernüchterung geprägt. Nach dem Watergate-Skandal und dem Rücktritt von Präsident Richard Nixon im Vorjahr stand das Land unter der Führung von Gerald Ford. Die Amerikaner suchten nach Normalität, doch die wirtschaftliche Rezession und die Nachwirkungen des Vietnamkriegs sorgten für eine angespannte Stimmung. Gleichzeitig blühte die Popkultur auf. Filme wie „Der weiße Hai“ von Steven Spielberg, der im Sommer 1975 in die Kinos kam, revolutionierten das Kino und begründeten das Zeitalter der Blockbuster. Die Menschen strömten in die Kinos, um dem Alltag zu entfliehen und sich von der Spannung des Thrillers mitreißen zu lassen.
Technologisch gesehen stand die Welt am Beginn einer neuen Ära. Im Sommer 1975 wurde die Grundlage für die Computerrevolution gelegt, die in den kommenden Jahrzehnten die Welt verändern sollte. In den USA begann Bill Gates und Paul Allen, an ihrem Unternehmen Microsoft zu arbeiten, das im April 1975 gegründet worden war. Ihre Vision, einen Computer auf jeden Schreibtisch zu bringen, war noch in den Anfängen, aber die Weichen wurden gestellt. Gleichzeitig begann die Videospielindustrie, sich zu entwickeln, mit frühen Konsolen wie dem Atari 2600, das zwar erst 1977 erschien, aber dessen Wurzeln in dieser Zeit lagen.
In der Musikszene war der Sommer 1975 eine Zeit des Übergangs. Der Rock der 60er Jahre wich zunehmend neuen Strömungen wie Punk, der in den kommenden Jahren an Fahrt gewinnen sollte. Künstler wie Bruce Springsteen, der mit seinem Album „Born to Run“ im August 1975 einen Meilenstein setzte, prägten die Musiklandschaft. Disco hingegen brachte eine neue Leichtigkeit, und Clubs in New York oder London wurden zu Treffpunkten für eine Generation, die nach Freiheit und Ausdruck suchte. In Deutschland feierte man Schlagerstars wie Udo Jürgens, während internationale Hits die Radiostationen beherrschten.
Der Sommer 1975 war auch eine Zeit, in der die Umweltbewegung an Fahrt gewann. In vielen westlichen Ländern begannen Menschen, sich stärker für Umweltfragen zu interessieren, beeinflusst durch die Energiekrise und die wachsende Erkenntnis, dass Ressourcen endlich sind. Organisationen wie Greenpeace, die 1971 gegründet wurde, begannen, international Aufmerksamkeit zu erregen, und setzten im Sommer 1975 ihre ersten spektakulären Aktionen gegen den Walfang.
Insgesamt war der Sommer 1975 eine Zeit des Kontrasts. Einerseits gab es wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, andererseits eine kulturelle Blüte, die neue Trends und Ideen hervorbrachte. Es war ein Sommer, in dem die Welt zwischen Vergangenheit und Zukunft schwankte, zwischen den Nachwirkungen alter Konflikte und dem Aufbruch in eine neue Ära. Die Menschen genossen die warmen Tage, träumten von einer besseren Zukunft und legten, oft ohne es zu wissen, die Grundsteine für die Welt, wie wir sie heute kennen.
