Titelbild, Bern, mw, kasaan media, 2025
Das Office of Strategic Services (OSS), die Vorgängerorganisation der heutigen CIA, spielte während des Zweiten Weltkriegs eine zentrale Rolle in der amerikanischen Geheimdiensttätigkeit. In der neutralen Schweiz, insbesondere in Bern, etablierte das OSS eine bedeutende Operationsbasis, die unter der Leitung von William J. Donovan und seinem Vertrauten Allen Dulles entscheidende nachrichtendienstliche Erfolge erzielte. Dieser Beitrag beleuchtet die Tätigkeiten des OSS in Bern, die strategische Bedeutung der Schweiz und die zentrale Rolle von Donovan detailliert.
William Joseph „Wild Bill“ Donovan war eine der schillerndsten Figuren der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Geboren in Buffalo, New York, aus einer irisch-amerikanischen Familie, machte er sich zunächst als Anwalt und Soldat einen Namen. Während des Ersten Weltkriegs diente er im 165. Infanterieregiment ehemals „Fighting 69th“, und erhielt für seinen Mut die Medal of Honor, die höchste militärische Auszeichnung der USA.
Sein Spitzname „Wild Bill“ stammte aus seiner Zeit als Football-Spieler an der Columbia University, wurde aber durch seine kühnen militärischen und nachrichtendienstlichen Aktionen während der Kriege zementiert.
Nach dem Ersten Weltkrieg war Donovan als US-Bezirksstaatsanwalt und stellvertretender Generalstaatsanwalt tätig, knüpfte jedoch auch internationale Kontakte, die ihm später zugutekamen. In den 1930er Jahren reiste er durch Europa und erkannte die wachsende Bedrohung durch den Nationalsozialismus. Seine enge Freundschaft mit Präsident Franklin D. Roosevelt, die während ihrer gemeinsamen Zeit an der Columbia Law School entstand, verschaffte ihm Zugang zu den höchsten politischen Kreisen.
1940 beauftragte Roosevelt Donovan, Pläne für einen zentralisierten US-Geheimdienst zu entwerfen, da die bestehenden nachrichtendienstlichen Strukturen (Armee, Marine, FBI) oft unkoordiniert und widersprüchlich agierten. Am 11. Juli 1941 wurde Donovan zum Coordinator of Information (COI) ernannt, und am 13. Juni 1942 wurde das COI in das Office of Strategic Services umgewandelt. Das OSS war für die Sammlung von Auslandsnachrichten, Gegenpropaganda und verdeckte Operationen zuständig und operierte weltweit, mit Ausnahme von Lateinamerika (damals FBI-Gebiet) und dem Pazifik unter General MacArthur.
Donovan war ein visionärer Anführer, der unkonventionelle Methoden bevorzugte. Er rekrutierte eine vielfältige Gruppe von Agenten – von Intellektuellen wie Carl Jung über Künstler wie John Ford bis hin zu Personen mit kriminellem Hintergrund. Seine Philosophie war, dass Kreativität und Mut wichtiger seien als militärische Disziplin.
Die Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs ein einzigartiger Schauplatz für nachrichtendienstliche Aktivitäten. Als neutrales Land, das von kriegführenden Staaten wie Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich umgeben war, diente es als Drehscheibe für Spione, Diplomaten und Dissidenten.
Bern, die Hauptstadt, war ein Hotspot für Geheimdienstoperationen, da hier Botschaften und Konsulate aller kriegführenden Mächte vertreten waren. Die Schweiz bot zudem Zugang zu Informationen aus dem Herzen Europas, da sie als Transitland für Kuriere, Flüchtlinge und Deserteure diente.
Donovan erkannte früh die strategische Bedeutung der Schweiz. In seinen Notizen an Präsident Roosevelt schrieb er: „Schweiz ist jetzt, wie im letzten Krieg, der vorteilhafteste Ort, um Informationen über die europäischen Achsenmächte zu erhalten.“ Die Schweiz war ein Ort, an dem die Lichter brannten, die Geschäfte gut bestückt waren und die Geheimdienste aller Nationen einander auf den Fersen waren – unter dem wachsamen Auge des schweizerischen Geheimdienstes, der versuchte, die Neutralität des Landes zu wahren.
Im November 1942 entsandte Donovan einen seiner fähigsten Offiziere, Allen Dulles, nach Bern, um dort eine nachrichtendienstliche Operationsbasis aufzubauen.
Dulles, ein erfahrener Anwalt und Diplomat aus einer einflussreichen New Yorker Familie, wurde als OSS-Stationchef in Bern eingesetzt und erhielt die Codenummer „110“ sowie den Titel „Sonderbeauftragter des Präsidenten der Vereinigten Staaten“.
Dulles’ Anreise nach Bern war abenteuerlich. Aufgrund von Verzögerungen und der Schließung der Grenze zwischen Vichy-Frankreich und der Schweiz erreichte er sein Ziel erst nach einer komplizierten Reise über Lissabon und Barcelona.
In Bern richtete er sein Hauptquartier in der Herrengasse 23 ein, einer diskreten Wohnung, die als Basis für seine Operationen diente. Von dort aus baute er ein gut organisiertes Netzwerk von Agenten auf, die in das besetzte Frankreich, Italien, Österreich und sogar Deutschland eingesickert waren.
Dulles’ wichtigste Aufgabe war die Beschaffung von Informationen über die militärischen Pläne der Achsenmächte und die Unterstützung des Widerstands gegen Hitler. Seine Kontakte reichten von hochrangigen Offizieren der deutschen Wehrmacht, einschließlich Mitgliedern der „Schwarzen Kapelle“, die Attentate auf Hitler planten bis hin zu ungewöhnlichen Figuren wie dem Psychologen Carl Jung, der als „Agent 488“ die Psyche deutscher Führer wie Hitler analysierte. Dulles’ Agenten lieferten entscheidende Informationen über die deutschen V-1- und V-2-Raketenprogramme, die direkt an Roosevelt weitergeleitet wurden.
Obwohl Donovan die OSS-Operationen weltweit leitete, war sein Einfluss auf die Aktivitäten in Bern maßgeblich. Er war nicht nur der Architekt des OSS, sondern auch ein aktiver Teilnehmer an strategischen Entscheidungen.
Seine enge Zusammenarbeit mit britischen Geheimdiensten, insbesondere mit William Stephenson („Intrepid“), dem Leiter der British Security Coordination, prägte die frühen Jahre des OSS. Die Briten lieferten Donovan und Dulles organisatorische Vorlagen, Ausbildung und nachrichtendienstliche Unterstützung, was entscheidend für den Aufbau des OSS war.
Donovan war über die Aktivitäten in Bern bestens informiert, insbesondere durch Dulles’ tägliche Berichte, die oft direkt an Roosevelt weitergeleitet wurden. Eine der bemerkenswertesten Operationen, die mit Donovan in Verbindung gebracht wird, war sein Treffen mit Admiral Wilhelm Canaris, dem Chef der deutschen Abwehr, im Jahr 1943 in Santander, Spanien. Laut dem NS-Forscher Heinz Höhne diskutierten Donovan und Canaris die Möglichkeit, den deutschen Widerstand gegen Hitler zu unterstützen. Donovan hatte in Spanien ein OSS-Netzwerk aufgebaut, das von den Franco-Behörden toleriert wurde, da diese bereits den deutschen Kriegsniederlage voraussahen.
Dieses Treffen zeigt Donovans Bereitschaft, unkonventionelle und riskante Wege zu gehen, um strategische Ziele zu erreichen.
Durch Dulles’ Kontakte in Bern erhielt Donovan auch Informationen über die deutsche Opposition gegen Hitler, einschließlich der Pläne des 20. Juli 1944. Obwohl die USA letztlich keine direkte Unterstützung für den deutschen Widerstand leisteten, waren die Informationen aus Bern entscheidend für das Verständnis der internen Dynamiken im Dritten Reich.
Die Arbeit des OSS in Bern und unter Donovans Führung war nicht ohne Kontroversen. In den USA gab es starke Widerstände gegen Donovans Pläne für einen zentralisierten Geheimdienst. Militärische Führer wie General Sherman Miles und das FBI unter J. Edgar Hoover sahen im OSS eine Bedrohung ihrer eigenen Zuständigkeiten. Hoover blockierte beispielsweise OSS-Operationen in Lateinamerika, während General Douglas MacArthur das OSS aus seinem Pazifik-Kommando ausschloss.
In den letzten Kriegsjahren wurde Donovan von amerikanischen Medien kritisiert, weil er im OSS angeblich nicht entschieden genug gegen prosowjetische Sympathisanten vorging. Diese Vorwürfe waren Teil der zunehmenden Spannungen des Kalten Kriegs, obwohl Donovan selbst ein konservativer Katholik war, der wenig Sympathie für den Kommunismus hegte.
Ein weiterer Streitpunkt war Donovans Beteiligung an den Nürnberger Prozessen. Als Assistent des Hauptanklägers Robert H. Jackson setzte er sich dafür ein, das Massaker von Katyn aus der Anklage gegen die Deutschen zu streichen, da es von der Sowjetunion verübt worden war. Diese Entscheidung, beeinflusst von seinem Berater Fabian von Schlabrendorff, einem deutschen Widerstandskämpfer, führte zu Spannungen mit Jackson, da Donovan befürchtete, dass ein „Schauprozess“ das Vertrauen der Deutschen in die Alliierten untergraben könnte.
Das Ende des OSS und Donovans Vermächtnis
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das OSS im September 1945 aufgelöst, da Präsident Harry S. Truman zunächst keinen Bedarf für einen permanenten Geheimdienst sah. Donovan kehrte ins Zivilleben zurück und diente später als US-Botschafter in Thailand (1953–1954).
Trotz der Auflösung des OSS setzte er sich weiterhin für die Schaffung eines zentralisierten Geheimdienstes ein, was 1947 zur Gründung der CIA führte. Obwohl Donovan keine führende Rolle in der CIA übernahm, gilt er als ihr geistiger Vater, und eine Statue von ihm steht in der Lobby des CIA-Hauptquartiers in Langley, Virginia.
Die Arbeit des OSS in Bern unter Dulles und Donovans strategischer Leitung lieferte entscheidende Informationen, die die alliierten Kriegsanstrengungen unterstützten. Sie zeigte auch, wie effektiv ein gut organisierter Geheimdienst in einem neutralen Land operieren konnte. Donovans unkonventioneller Ansatz – seine Bereitschaft, Risiken einzugehen, vielfältige Talente zu rekrutieren und mit den Briten eng zusammenzuarbeiten – prägte die moderne amerikanische nachrichtendienstliche Arbeit nachhaltig.
Das OSS in Bern war während des Zweiten Weltkriegs ein zentraler Knotenpunkt für nachrichtendienstliche Operationen, geleitet von Allen Dulles unter der strategischen Führung von William J. Donovan.
Die Schweiz bot als neutrales Land ideale Bedingungen für Spionage, und Dulles’ Netzwerk lieferte wertvolle Informationen über die Achsenmächte und den deutschen Widerstand. Donovan, als Gründer und Leiter des OSS, war die treibende Kraft hinter diesen Erfolgen, obwohl er mit internen und externen Widerständen zu kämpfen hatte. Sein Vermächtnis als „Vater der amerikanischen Geheimdienste“ bleibt unbestritten, und die Operationen in Bern sind ein eindrucksvolles Beispiel für seinen visionären Ansatz.
