Titelbild: Affen, Britisch Gibraltar, 2025
Oliver Bellenhaus, eine zentrale Figur im Wirecard-Skandal, hat durch seine Rolle als Kronzeuge im Prozess gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun erhebliche Aufmerksamkeit erlangt. Seine Verbindung zu Gibraltar, einem bekannten Finanzzentrum, spielt in diesem Kontext eine gewichtige Rolle.
Bellenhaus, ein gebürtiger Oberfranke, begann seine Karriere bei Wirecard im Jahr 2002, zu einer Zeit, als das Unternehmen noch als aufstrebender Stern in der Finanztechnologiebranche galt. Mit Anfang 30 stieg er schnell auf, wurde Generalbevollmächtigter der Wirecard Bank und später Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East in Dubai. Zu diesem Zeitpunkt lebte der mittlerweile verstorbene Russell L. im sonnigen Süden Spaniens, zusammen mit seinem damaligen Lebensgefährten.
L. war bekannt für die außergewöhnliche Kunst, Geld von zahllosen ehemaligen Firmen zu waschen, die in die Warenterminszene verstrickt waren und reihenweise nach bestimmter Halbwertszeit bankrott gingen. L. prahlte damals in Gibraltar mit dem Waschen von Geld für eine Glücksspiel- und Pornoabrechnungsfirma. Auch Gewinne von Drogengeschäften von der Gruppe ließ er verrechnen und sagte, “das sei das totsichere Geschäft, um Geld zu waschen”. Er kannte Jan Marsalek, wie er bekannte, recht gut. Wohlgemerkt 2002! Sonst zog sich der dem Alkohol durchaus zusprechende Russell L. in die Gründung neuer Firmen auf den BVI oder in Gibraltar zurück. Zuvor hatte er bei der größten Finanz-Pleite der USA sehr viel Geld in Sicherheit gebracht. Stichwort Refco. Als sein Lebensgefährte verhaftet wurde, zog es ihn nach Dubai. Er hatte Erfahrung mit der verschlungenen Gründung von Briefkastenfirmen, eine davon hatte er in London unterhalten.
Russell L. war in den 1990er Jahren bei Refco in London tätig, einem globalen Finanzdienstleister, der vor allem im Rohstoff- und Derivatehandel aktiv war. Refcos Geschäfte waren stark reguliert und die Londoner Niederlassung unterstand der damaligen Financial Services Authority (FSA). L.’s Tätigkeit in den 1990er Jahren fand in einer Phase statt, in der Refco aggressiv expandierte, bevor der Skandal 2005 das Unternehmen in den Bankrott trieb. Der Skandal, ausgelöst durch die Verschleierung von 430 Millionen US-Dollar an schlechten Schulden durch CEO Phillip Bennett, führte zu einem massiven Vertrauensverlust, einem Kurssturz nach dem Börsengang 2005 und letztlich zur Insolvenz. Refco Overseas Ltd., die europäische Niederlassung, wurde an Marathon Asset Management verkauft und als Marex Financial Limited neu gegründet.
Nach seiner Zeit bei Refco lebte Russell L. in Porto Banus, Spanien. Es ist auch gesichert, dass er in mehreren Städten wie London, Dubai und Colombo wohnte.
Puerto Banus, ein luxuriöser Hafenort an der Costa del Sol, ist bekannt als Wohnort für wohlhabende Personen und Expatriates. L. führte auch nach seiner Refco-Zeit möglicherweise ein komfortables Leben, vielleicht durch Einkünfte aus früheren Geschäften oder Investitionen. Es ist gesichert, dass er 2014 in Sri Lanka verstarb, was zeigt, dass er ein internationales Leben führte, das mehrere Länder umspannte.
Seine Zeit in Puerto Banus beweist, dass L. ein Netzwerk von Freunden und Kollegen hatte, die sein Leben in London und anderen Städten erheblich unterstützten, was auf eine aktive soziale und möglicherweise geschäftliche Präsenz hinweist. Seine Freundschaft mit Personen wie Bob S. und Patrick C , die in London und Kuala Lumpur erwähnt werden, weist auf weitergehende geschäftliche Verbindungen in seiner Hauptdisziplin, Geldwäsche, hin.
Bellenhaus war maßgeblich für die sogenannten Drittpartnergeschäfte in Asien verantwortlich, die im Mittelpunkt des Wirecard-Skandals stehen. Diese Geschäfte, die angeblich Milliardenumsätze generierten, wurden später als größtenteils fiktiv entlarvt. Auch für solche Transaktionen war L. bestens bewandert. So fanden sich Anfang 2003 zahllose Dokumente in einem ehemaligen Treuhänderbüro in Library Ramp in Gibraltar. Diese Dokumente bewiesen den Zusammenhang zwischen Marsalek und L.. Bellenhaus selbst gestand im Prozess, dass die Umsätze erfunden waren, Verträge gefälscht wurden und auf Treuhandkonten, die 1,9 Milliarden Euro hätten enthalten sollen, kein Geld existierte. Er belastete aber seine ehemaligen Chefs Markus Braun und den flüchtigen Manager Jan Marsalek, der eine Schlüsselrolle in dem mutmaßlichen Betrug gespielt haben soll.
Gibraltar kommt in dieser Geschichte ins Spiel, weil Wirecard über ein komplexes Netzwerk von Briefkastenfirmen operierte, die wohl über Mittelsmänner von Russell L. geschaffen worden waren. Von denen einige in diesem britischen Überseegebiet angesiedelt waren. Gibraltar ist bekannt für seine lockeren Regulierungen und seine Rolle als Finanzplatz, der von Unternehmen genutzt wird, um Steuern zu minimieren oder Geldflüsse zu verschleiern. Berichte deuten darauf hin, dass Wirecard über Gibraltar möglicherweise Geldwäscheaktivitäten durchführte, insbesondere im Zusammenhang mit Online-Glücksspiel und anderen fragwürdigen Geschäften.
Schon in den Jahren 2010 und 2015 geriet Wirecard wegen Geldwäscheverdachts in Gibraltar und anderen Finanzenklaven, wie Liechtenstein, in das Visier der Münchner Staatsanwaltschaft, ohne dass damals konkrete Konsequenzen folgten. Die komplexen Firmenstrukturen, die über Gibraltar liefen, machten es Ermittlern schwer, die tatsächlichen Geldflüsse nachzuvollziehen. Es wird spekuliert, dass Wirecard über solche Netzwerke Gelder für internationale Drogenkartelle oder andere kriminelle Aktivitäten gewaschen haben könnte, obwohl dies nicht abschließend bewiesen wurde.
Bellenhaus selbst lebte in Dubai, im Luxus des Burj Khalifa, und führte einen extravaganten Lebensstil, der durch seinen Erfolg bei Wirecard finanziert wurde. Er beschrieb sich selbst als ehrgeizigen Kämpfer, der die Karriereleiter schnell erklomm, und pflegte einen Hang zu auffälligen Anzügen und teuren Autos. Seine Aussagen im Prozess zeichnen das Bild eines Unternehmens, das von einem „System des organisierten Betrugs“ geprägt war, wie er Wirecard vor Gericht nannte. Er beschuldigte Markus Braun, als „absolutistischer CEO“ die Fäden gezogen zu haben, während Jan Marsalek und er selbst die Phantomgeschäfte orchestrierten. Bellenhaus gab an, dass niemand offen über die kriminellen Machenschaften sprach, und er selbst habe erst nach und nach erkannt, dass die Drittpartnergeschäfte nicht existierten. Die Geschäfte seien immer größer geworden, bis die Kontrolle verloren ging und Wirecard wie eine „Geldverbrennungsmaschine“ agierte, die seit 2013 Verluste machte.
Im Sommer 2020, nach dem Zusammenbruch von Wirecard, stellte sich Bellenhaus der deutschen Justiz, indem er von Dubai nach München flog und sich den Behörden ergab. Seine umfassenden Aussagen führten kurz darauf zur Verhaftung von Markus Braun und bildeten die Grundlage für die Anklage wegen bandenmäßigen Betrugs, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und schwerer Untreue. Im Prozess, der seit Dezember 2022 vor dem Landgericht München I läuft, trat Bellenhaus als Kronzeuge auf, was ihm die Aussicht auf Strafmilderung einbrachte. Seine Geständnisse und seine Bereitschaft, Schadenswiedergutmachung zu leisten – etwa durch die Bereitstellung von sechs Millionen Euro aus einer Liechtensteiner Stiftung für die Insolvenzmasse – führten schließlich dazu, dass er im Februar 2024 nach über dreieinhalb Jahren Untersuchungshaft unter strengen Auflagen freigelassen wurde. Zu diesen Auflagen gehören die Abgabe seiner Ausweisdokumente, regelmäßige Meldungen bei der Polizei und das Verbot, Kontakt zu Mitangeklagten oder Zeugen aufzunehmen.
Die Freilassung von Bellenhaus löste Kontroversen aus, insbesondere bei der Verteidigung von Markus Braun. Brauns Anwalt Alfred Dierlamm sprach von einem „schmutzigen Deal hinter verschlossenen Türen“ und warf Bellenhaus vor, als Kronzeuge unglaubwürdig zu sein und während der Ermittlungen Millionenveruntreuungen verschwiegen zu haben. Braun selbst bestreitet die Vorwürfe und sieht sich als Opfer eines Betrugs, der von Bellenhaus, Marsalek und anderen hinter seinem Rücken durchgeführt wurde. Die Anklage hingegen stützt sich stark auf Bellenhaus’ Version der Ereignisse, die das Bild eines organisierten Systems zeichnen, in dem Braun die zentrale Rolle spielte.
Bellenhaus selbst wirkt mehr und mehr unglaubwürdig.
Die Verbindung nach Gibraltar bleibt ein undurchsichtiger Aspekt des Skandals. Die Firmennetzwerke, die Wirecard in Gibraltar und anderen Finanzplätzen nutzte, erschwerten die Aufklärung der Geldflüsse erheblich. Ermittlungen in den USA, Singapur und auf den Philippinen laufen weiter, um die Rolle von Briefkastenfirmen und möglichen Verbindungen zu kriminellen Aktivitäten wie Drogenhandel oder illegalem Glücksspiel zu klären. Bellenhaus’ detaillierte Kenntnisse über diese Strukturen machen ihn zu einem Schlüsselzeugen, dessen Aussagen nicht nur den Prozess in München prägen, sondern auch internationale Ermittlungen beeinflussen könnten.

1 Kommentar
Ich habe mit großem Interesse Ihren Artikel gelesen.
Ich kannte Russell aus San Pedro der Alcantara, auch sein deutscher Lebensgefährte war nur bekannt, bis er verhaftet wurde.
Auch mir gegenüber erwähnte er bei einem Bier den lukrativen Auftrag eines Fintechs.
Er suchte 2005 Mitarbeiter für die Arbeit. Hier in Spanien. Immer häufiger traf er sich in Dubai oder London mit Leuten, die seine Briefkastenfirmen operierten.
Auch hatte Kontakt zu Personen in Algeciras und La Linea die Conception, die als Strohmänner fungieren sollten.
Sonst ist es genau, wie Sie geschrieben haben.