Der „kleine Weiße Riese“ an der Ottostraße 54-56, der am Sonntagmittag mit einer gezielten Sprengung dem Erdboden gleichgemacht wurde, war eines der kleineren Gebäude des Komplexes. Mit einer Höhe von 63 Metern, 22 Stockwerken und 160 Wohnungen unterschied es sich von den größeren Hochhäusern, die bis zu 320 Wohnungen umfassen. Seit Juli 2020 stand das Gebäude leer, nachdem die letzten Bewohner ausgezogen waren. Die Sprengung selbst war ein technisch anspruchsvolles Unterfangen, da das Hochhaus inmitten eines dicht bebauten Stadtteils lag. Um Schäden an umliegenden Gebäuden zu minimieren, kam die sogenannte „Kipp-Kollaps-Faltung“-Technik zum Einsatz, bei der zwei Sprengebenen zeitversetzt gezündet wurden, um das Gebäude kontrolliert in sich zusammenfallen zu lassen. Diese Methode reduzierte die benötigte Fläche für das sogenannte Fallbett und sorgte für weniger Erschütterungen. Die Sprengung, durchgeführt von der Thüringer Spreng GmbH und geplant von der rebuild.ing GmbH sowie der Porr Becker Abbruchtechnik GmbH, verlief planmäßig.
Die Vorbereitungen für die Sprengung begannen bereits Ende 2024 und waren aufwendig. Das Gebäude musste vollständig entkernt und von Schadstoffen wie Asbest und polychlorierten Biphenylen (PCBs) befreit werden, da die Bausubstanz aus den 1970er-Jahren erhebliche gesundheitsschädliche Materialien enthielt. Die asbesthaltigen Fassaden waren weitgehend demontiert, und ein Drittel der Schadstoffe im Innenbereich war bereits entfernt, bevor die finale Sprengung stattfinden konnte. Auch die angrenzende Tiefgarage wurde teilweise abgerissen, um die Sicherheit während der Sprengung zu gewährleisten.
Die Sprengung war nicht nur ein technisches Großereignis, sondern auch ein logistisches Unterfangen. Über 2200 Anwohner in der Umgebung mussten am heutigen Tag ihre Wohnungen verlassen, da eine weiträumige Evakuierungszone eingerichtet wurde. Ab 8 Uhr war der Aufenthalt in diesem Bereich untersagt, und rund 220 Mitarbeiter des Ordnungsamts sowie 60 Feuerwehrleute und 40 Polizeikräfte sorgten für die Durchsetzung der Maßnahmen und die Sicherheit vor Ort. Buslinien wurden umgeleitet, Straßen gesperrt, und Drohnenflüge in der Zone strikt untersagt, um jegliche Risiken zu minimieren. Die Stadt stellte die Erich-Kästner-Schule als Notunterkunft bereit, und ein Shuttle-Bus fuhr ab 6 Uhr morgens, um betroffenen Anwohnern eine Unterbringung zu ermöglichen. Die Stadt appellierte ausdrücklich an Schaulustige, nicht vor Ort zu erscheinen, da die Sicht auf das Gebäude durch Absperrungen eingeschränkt war und keine Infrastruktur wie Verpflegungsstände oder Toiletten bereitgestellt wurde. Stattdessen übertrug der WDR die Sprengung live im Fernsehen, in der ARD-Mediathek und auf TikTok, begleitet von einer Sondersendung „Lokalzeit extra“, die die Geschichte der Weißen Riesen und die Bedeutung des Ereignisses für Hochheide beleuchtete.
Die Weißen Riesen, einst als Inbegriff moderner Urbanität gefeiert, wurden über die Jahre zum Symbol für den Niedergang des Stadtteils Hochheide.
Die Sprengung des dritten Weißen Riesen ist Teil eines umfassenderen „Integrierten Handlungskonzepts“ der Stadt Duisburg, das darauf abzielt, Hochheide zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen. Auf dem rund 6,5 Hektar großen Areal der abgerissenen Hochhäuser soll ein Stadtpark entstehen, der Sportflächen, Gemeinschaftsbereiche und Erholungsgebiete umfassen wird. Dieses Vorhaben soll die Lebensqualität im Viertel steigern und einen Kontrapunkt zu den verbleibenden, teils heruntergekommenen Hochhäusern setzen. Dennoch bleibt die Stimmung in Hochheide gespalten. Während einige Anwohner die Pläne für die Neugestaltung begrüßen, äußern andere Skepsis, da das „Problemhaus“ weiterhin besteht und die sozialen Herausforderungen des Viertels nicht allein durch den Abriss eines Gebäudes gelöst werden können.
Die Sprengung markiert somit nicht nur das Ende eines maroden Bauwerks, sondern auch einen symbolischen Schritt in Richtung Wandel. Sie wirft jedoch auch Fragen auf. Wie kann der Verlust von Wohnraum kompensiert werden? Wie gelingt es, die Anwohner in die Neugestaltung einzubinden? Und wie kann ein Stadtteil, der über Jahrzehnte von sozialen und baulichen Problemen gezeichnet war, wieder zu einem lebenswerten Ort werden? Die Weißen Riesen, einst Hoffnungsträger für eine moderne Zukunft, sind heute ein Mahnmal für die Vergänglichkeit städtebaulicher Visionen, die scheiterten.
