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Die Versenkung von Schiffen mit giftigem und radioaktivem Abfall im Mittelmeer durch die kalabrische Mafia, insbesondere die ‚Ndrangheta, ist ein seit Jahrzehnten bekanntes, aber lange Zeit unterschätztes Umwelt- und Kriminalitätsproblem, das die Region um den Hafen von Gioia Tauro in Kalabrien ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Dieser Hafen, strategisch günstig an der Schifffahrtsroute zwischen Gibraltar und dem Suezkanal gelegen, ist nicht nur Italiens größter Containerhafen, sondern auch ein zentraler Umschlagplatz für illegale Aktivitäten der organisierten Kriminalität. Die ‚Ndrangheta, eine der mächtigsten Mafiaorganisationen weltweit, hat den Hafen seit den 1970er Jahren infiltriert und nutzt ihn für den lukrativen Handel mit Giftmüll, der aus ganz Europa, einschließlich Deutschland, Österreich und Frankreich, nach Kalabrien verschifft wird. Dieser illegale Müllhandel, der in den 1980er Jahren seinen Anfang nahm, hat sich zu einem milliardenschweren Geschäftsfeld entwickelt, das die ‚Ndrangheta nicht nur finanziell, sondern auch politisch und gesellschaftlich gestärkt hat.
Die Praxis, Schiffe mit giftigem oder radioaktivem Abfall zu versenken, ist besonders alarmierend. Berichte, wie etwa ein ARD-Report von 2018, beschreiben, wie Schiffe mit Zementklötzen und Marmorabfällen beladen werden, um sie im Mittelmeer, vor allem vor der kalabrischen Küste, zu versenken. Der Marmor soll dabei angeblich Radioaktivität abschirmen, was die Schwierigkeit der Aufdeckung solcher Verbrechen erhöht. Ein prominentes Beispiel ist das Wrack der „Cunsky“, das 2009 in 500 Metern Tiefe, 28 Kilometer vor der Küste Kalabriens, entdeckt wurde. Dieses Schiff enthielt etwa 120 Behälter mit radioaktivem Abfall, wie die Aussage eines ehemaligen ‚Ndrangheta-Mitglieds, Francesco Fonti, bestätigte. Fonti, ein Kronzeuge, enthüllte, dass die Mafia in den 1980er und 1990er Jahren insgesamt bis zu 32 Schiffe mit Giftmüll im Mittelmeer versenkt habe, darunter auch Schiffe wie die „Rigel“ oder die „Rosso“, die mit gefährlichen Substanzen beladen waren. Diese Schiffe wurden oft absichtlich versenkt, um sowohl die Entsorgungskosten zu sparen als auch Versicherungssummen zu kassieren, was der Mafia doppelten Profit einbrachte.
Die Dimension dieses Skandals wird durch die Tatsache verstärkt, dass die italienische Regierung und Geheimdienste laut Berichten seit Jahrzehnten von diesen Aktivitäten wussten, jedoch kaum etwas unternahmen.
Ermittler, die den illegalen Müllhandel untersuchten, wurden systematisch behindert oder sogar „kaltgestellt“. Ein tragisches Beispiel ist der Tod des Korvettenkapitäns Natale de Grazia, der 1995 unter mysteriösen Umständen starb, während er Beweise gegen die ‚Ndrangheta sammelte. Brisante Akten verschwanden in Archiven, und Prozesse wurden verschleppt, was die Macht der Mafia über Behörden und Politik verdeutlicht. Der Hafen von Gioia Tauro spielt in diesem Geflecht eine zentrale Rolle. Die ‚Ndrangheta kontrolliert laut Berichten „jeden Quadratmillimeter“ des Hafens, der vom Medcenter Container Terminal (MCT), einem Unternehmen der deutsch-italienischen Eurogate-Contship-Gruppe, betrieben wird. Unternehmen, die Müll nach Gioia Tauro verschiffen, erhalten zwei Rechnungen: eine offizielle für die Transportfirma und eine inoffizielle für „Schutzzölle“ der Mafia. Sogar große internationale Unternehmen sollen direkt mit der Mafia verhandeln, um Geschäfte in der Region abzuwickeln.
Neben der Versenkung von Schiffen wird giftiger Müll auch an Land entsorgt. In der Region um Gioia Tauro wurden auf einer Fläche von 60 Fußballfeldern Abfälle aus ganz Europa vergraben, und in Kalabrien gibt es schätzungsweise 600 illegale Müllkippen. Abwasser wird in Kläranlagen wie die von Gioia Tauro eingespeist, was zu erheblichen Umweltproblemen führt. Bewohner der Region klagen über den Gestank des Flusses Petrace, und Schwermetalle sowie radioaktive Substanzen wurden in Flüssen wie dem Oliva nachgewiesen. Deutschland trägt eine Mitverantwortung, da es eines der Länder mit der höchsten Müllproduktion ist – 2015 waren es 402,2 Millionen Tonnen Abfall. Bereits 2008 dokumentierte das Bundeskriminalamt, dass giftige Abfälle aus Deutschland nach Kalabrien, etwa nach Africo Nuovo, gebracht und dort vergraben wurden.
Trotz der Beweise und der Arbeit von Umweltorganisationen wie Legambiente, die seit den 1980er Jahren auf die Problematik hinweisen, bleibt die Aufklärung lückenhaft. Die Tiefe, in der die Schiffe liegen, erschwert Untersuchungen, und die italienische Regierung hat oft nicht die Ressourcen oder den Willen, umfassende Maßnahmen zu ergreifen. Dennoch gibt es Hoffnung auf Veränderung. Die Entdeckung der „Cunsky“ und die Aussagen von Kronzeugen haben die Aufmerksamkeit auf das Problem gelenkt, und Umweltschützer fordern eine Taskforce, um weitere Wracks zu untersuchen. Der Hafen von Gioia Tauro selbst hat in den letzten Jahren versucht, sein Image zu verbessern, etwa durch Investitionen der Reederei MSC, die den legalen Containerumschlag ankurbeln. Doch die Präsenz der ‚Ndrangheta bleibt eine Herausforderung, und der illegale Müllhandel ist nach wie vor ein düsteres Kapitel in der Geschichte des Mittelmeers, das die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in der Region bedroht.
