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Marjan, der Löwe von Kabul

 

Titelbild: Beispielbild Zoo Kabul, Aryjob Zazai, Wikipedia Lizenz 2.0

Marjan, der Löwe von Kabul, war weit mehr als nur ein Tier im Käfig. In den späten 1970er-Jahren wurde er zum lebenden Symbol der afghanischen Hauptstadt, zum Maskottchen einer ganzen Nation, die sich damals modern, weltoffen und stolz fühlte. Der stattliche Löwe mit der dunklen, fast schwarzen Mähne war ein Geschenk aus Deutschland: 1968 hatte der Kölner Zoo dem jungen Kabul Zoo mehrere Tiere überlassen, darunter diesen prächtigen jungen Löwen, der bald zum unumstrittenen Star der Anlage wurde.

Die Menschen strömten in Scharen, um ihn zu sehen, Kinder nannten ihn liebevoll „Marjan“, was auf Dari einfach „Korallen“ oder „die Kostbare“ bedeutet, und tatsächlich schien er etwas Königliches, fast Magisches auszustrahlen. Er lag meist gelassen auf seinem Felsvorsprung, ließ die Besucher kommen und gehen, brüllte nur selten, aber wenn er es tat, erzitterte der ganze Zoo.Dann kamen die Kriege. Erst die sowjetische Invasion 1979, dann der Bürgerkrieg, die Taliban-Herrschaft, die amerikanische Intervention, wieder Bürgerkrieg. Der Kabul Zoo, einst ein Ort des Stolzes, verkam zur Ruine.

Die meisten Tiere verhungerten oder wurden getötet. Marjan aber überlebte. Er überlebte Granaten, die direkt neben seinem Gehege einschlugen, er überlebte Hungerwinter, in denen er wochenlang kaum etwas zu fressen bekam, er überlebte sogar den wahnsinnigen Angriff eines afghanischen Soldaten im Jahr 1993. Dieser Mann war in den Zoo gekommen, weil sein Bruder ein Jahr zuvor von Marjan getötet worden war – der Bruder hatte betrunken das Gehege betreten, um zu beweisen, wie mutig er sei, und der Löwe hatte ihn mit einem Biss getötet. Zur Rache warf der Soldat am nächsten Tag eine Handgranate in den Käfig. Marjan verlor dabei sein linkes Auge, große Teile seiner Schnauze und einen Teil des Kiefers. Er war schwer verletzt, blutete stark, lag tagelang im Dreck, doch er starb nicht. Tierärzte aus dem Ausland wurden eingeflogen, Spenden kamen aus aller Welt, und Marjan erholte sich einigermaßen.

Von da an trug er die Narben seines Landes im Gesicht: halb blind, mit schiefem Maul, aber immer noch würdevoll. Die Bilder des einäugigen, schwer verwundeten Löwen gingen um die Welt. Er wurde zur Metapher für Afghanistan selbst – stolz, gebrochen, aber niemals ganz besiegt. Als die Taliban 1996 Kabul eroberten, ließen sie ihn überraschenderweise in Ruhe; vielleicht weil selbst sie den Respekt vor diesem Tier spürten, das alles überstanden hatte. In den Jahren der Taliban-Herrschaft und danach wurde Marjan von den wenigen verbliebenen Tierpflegern mit dem wenigen, was sie hatten, versorgt. Er fraß, was eben da war: altes Brot, verdorbenes Fleisch, manchmal tagelang nichts. Und doch lebte er weiter, wurde älter, grauer, schwächer, aber er lebte.Im Frühjahr 2002, kurz nach dem Sturz der Taliban, starb Marjan schließlich. Er war etwa 26 Jahre alt, für einen Löwen in freier Wildbahn ein biblisches Alter, für einen in Gefangenschaft und unter solchen Bedingungen ein Wunder. Als er tot war, weinten erwachsene Männer in Kabul. Es gab eine richtige Trauerfeier, Hunderte kamen, um Abschied zu nehmen. Man begrub ihn im Zoo, richtete ihm ein einfaches Grab mit einem Stein, auf dem sein Name stand. Später wurde daraus ein richtiges Denkmal: ein Bronzelöwe, stolz und unversehrt, wie Marjan einst gewesen war.

Heute, mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod, erinnern sich die Menschen in Kabul immer noch an ihn. Für die Älteren ist er ein Stück verlorener Unbeschwertheit, für die Jüngeren eine Geschichte, die ihnen ihre Eltern und Großeltern erzählen – die Geschichte eines Löwen, der alles überstanden hat, was ein Land einem Lebewesen antun kann, und trotzdem bis zum Schluss König blieb. Marjan war nicht nur der Löwe von Kabul. Er war Kabul.

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