Damals

Die Wunden des Olympia-Attentats von München werden in Israel wohl nie verheilen

Titelbild:

Bundespräsident Heinemann während der Trauerfeier im Olympiastadion

Bundesarchiv, B 145 Bild-F037753-0037 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0

Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Trauerfeier im Olympiastadion

München, Deutschland

Von Ralf ISERMANN

Der Streit um die Entschädigung der Hinterbliebenen des Olympia-Attentats von München im Jahr 1972 zeigt derzeit erneut, dass die Wunden des Terrorangriffs in Israel wohl nie verheilen werden. Auch 50 Jahre später machen die Fehler der deutschen Polizei fassungslos. Ein Überblick zu den Geschehnissen:

WIE WAR DIE AUSGANGSLAGE?

36 Jahre nach den von den Nazis für Propaganda missbrauchten Olympischen Spiele von 1936 in Berlin wollte Deutschland die Spiele in München 1972 zu einem heiteren Fest machen. Alles war perfekt vorbereitet – nur die Sicherheitsvorkehrungen wurden vernachlässigt. Warnungen des Verfassungsschutzes vor einem Anschlag wurden ignoriert. Ein achtköpfiges palästinensisches Terroristenkommando nutzte dies aus und kletterte am frühen Morgen des 5. Septembers 1972 unbehelligt über einen Zaun ins Olympische Dorf.

WAS GESCHAH DORT?

In kurzer Zeit brachte die Gruppe elf israelische Sportler in ihre Gewalt, zwei davon wurden gleich zu Beginn der Geiselnahme getötet. Danach verlangten die Terroristen die Freilassung von mehr als 200 in Israel inhaftierten Palästinensern sowie der deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Israel wies die Forderungen zurück.

GAB ES KONTAKT ZU DEN GEISELNEHMERN?

Die Polizei belagerte den Tatort mit zahlreichen Kräften, es gab auch immer wieder Verhandlungen. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Olympia-Funktionäre boten sich vergeblich als Ersatzgeiseln an – die Terroristen gingen nicht darauf ein.

BLIEBEN DIE GEISELNEHMER VOR ORT?

Nein, nach einem mehrstündigen Nervenkrieg ließen sich die Terroristen am Abend des 5. Septembers mit Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck bei München fliegen. Über Radio und Fernsehen hatten die Palästinenser zuvor mitbekommen, dass eine Befreiungsaktion im Olympischen Dorf geplant war. Die Polizei hatte versäumt, ihnen den Strom abzuschalten und die Presse auszusperren.

WAS PASSIERTE IN FÜRSTENFELDBRUCK?

Eigentlich blieb der Polizei genügend Zeit, eine Falle vorzubereiten – doch die Umsetzung war stümperhaft. So standen nur fünf und damit zu wenige Scharfschützen bereit, die zudem unzureichend ausgebildet und ungenügend bewaffnet waren. Im für die Terroristen zum Flug nach Ägypten vorbereiteten Flugzeug befanden sich zwar ebenfalls als Personal getarnte Polizisten. Doch es handelte sich um einfache und ungenügend bewaffnete Streifenpolizisten, die sich noch vor dem Eintreffen der Geiselnehmer eigenmächtig aus dem Flugzeug absetzten.

WANN GRIFF DIE POLIZEI AN?

Um kurz nach 22.30 Uhr gab Bayerns Innenminister Bruno Merk (CSU) den Befehl „Feuer frei“. Es folgte eine etwa dreistündige wilde Schießerei. Während ein Vertreter der Olympischen Spiele und ein Sprecher der Bundesregierung die falsche Nachricht verbreiteten, dass die Geiseln befreit seien, wurde noch immer geschossen. Am Ende waren alle neun verbliebenen israelischen Sportler und ein bayerischer Polizist tot, zudem fünf Terroristen.

WIE REAGIERTE ISRAEL?

Zunächst dankte die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir der Bundesregierung für ihren Einsatz für die Sportler. Aber nach einem Bericht des Chefs des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, Tzwi Zamir, der in Fürstenfeldbruck als Augenzeuge den Einsatz beobachtet hatte, kippte die Stimmung. „Sie haben nicht einmal den minimalen Versuch unternommen, Menschenleben zu retten“, lautete sein Fazit. Die Deutschen hätten nur die Olympischen Spiele fortsetzen wollen.

WIE REAGIERTE DEUTSCHLAND AUF DIE KRITIK?

Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) fand nach dem Attentat deutliche Worte. Er sprach von einem „erschütternden Dokument deutscher Unfähigkeit“. Als Konsequenz entstand in Deutschland die Spezialeinheit GSG 9. Den Hinterbliebenen der Sportler wurde insgesamt eine Million Mark gezahlt. Deklariert wurde das Geld als humanitäre Hilfe, um daraus kein Schuldeingeständnis zu machen.

WURDE DIE SITUATION DAMIT BEFRIEDET?

Nein, schon im Oktober 1972 wurden die drei überlebenden Geiselnehmer freigelassen: Nach der Entführung der Lufthansa-Maschine „Kiel“ durch ein Terrorkommando kamen im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln die Geiselnehmer von München frei. Der Mossad jagte daraufhin die Strippenzieher des Anschlags und die überlebenden Geiselnehmer und tötete eine Reihe Palästinenser, aber auch mehrere völlig unbeteiligte Menschen.

WARUM IST DIE ENTSCHÄDIGUNG NOCH IMMER UNKLAR?

Nach der ersten Zahlung nach dem Attentat zahlten 2002 die Bundesregierung, das Land Bayern und die Stadt München noch einmal 4,6 Millionen Euro. Juristisch scheiterten die Hinterbliebenen in letzter Instanz mit der Forderung nach mehr Geld. Vor der für den 5. September in München geplanten Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats eskalierte der Konflikt über die Höhe von Entschädigungszahlungen zwischen den Angehörigen der Sportler und der deutschen Seite. Die Hinterbliebenen sagten zuletzt ihre Teilnahme an der Gedenkfeier ab.

ran/hex/cfm

© Agence France-Presse

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