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Das Dunkel der Nacht

Spannender geht Zeitgeschichte nicht als im Krimi

(mctvh/CPT)

Nun erst einmal viel Spass mit der Leseprobe aus Das Dunkel der Nacht

Buchrücken

In Berlin sprengt sich eine Selbstmordattentäterin in einer U-Bahnstation in die Luft.

Ein Unbekannter wird an einer Bahnlinie südlich von Hamburg aufgefunden. In den Ermittlungen stellt sich heraus, dass er seit 2001 vermisst war.

Er wurde offensichtlich gefoltert und befindet sich in einem schlechten Gesundheitszustand.

Kurz darauf ziehen KHK Grzlak und sein Kollege Neumayer die Leiche des seit Jahren vermissten Lebensgefährten aus Stadtparksee in Hamburg.

Die Spur führt über das US-Konsulat an der Alster und einem Schiffsabwracker an der Elbe nach Afghanistan, zurück in die Zeit der 1990er-Jahre.

Wie war das Schicksal der drei mysteriösen Fälle miteinander verknüpft?

Was hat der Sicherheitschef des US-Konsulates mit den drei Fällen zu tun?

Eine weitere Spur führt die Kommissare in die Sado-Maso Szene nach Schweden und auf den Hamburger Steindamm auf den dortigen Straßenstrich am Hansaplatz.

Wir bereiten über unseren neuen Shop derzeit die 3. Ausgabe vor. Derzeit ist eine Sonderausgabe des Thrillers unter der ISBN Nummer 978-3-96593-058-2 möglich. Es gelten die AGB’s und die DSGVO

Lesehappen

Neben der Bahnlinie

Rothenburg an der Wümme, 4. Februar 2014

Immer wieder schlug ihn jemand ins Gesicht. Dann dämmerte er wieder dahin, er lag auf einer Decke. Jemand schlug seinen Kopf immer wieder auf den kalten Untergrund. Stimmen, die wie weit entfernt klangen, redeten Englisch. Einen Moment später wurde ihm Alkohol eingeflößt, billiger Fusel, der in seiner Speiseröhre brannte. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte. Er spuckte den scharfen Schnaps wieder aus, drohte zu ersticken, er röchelte nur noch, krampfte. Er nahm nichts mehr wahr, sein Geist hörte auf zu arbeiten. Die Männerstimmen verklangen. Eine Autotür, dann eine zweite wurde zugeklappt, der Motor sprang nach der zweiten Zündung an. Das tiefe Röhren, das plötzlich aufhörte.

In der fliehenden Dunkelheit entfernte sich das Motorengeräusch. Das letzte, was man vor dem endgültigen Tod verlor, war das Gehör. So lag er in dem trockenen, eisigen Gestrüpp, zwischen den mit Moos überzogenen Betonbohlen der Bahntrasse, er verging. Sein Gesicht zuckte unwillkürlich und unaufhörlich. Einige der braun glänzenden Pflanzen waren mit eisigen, vor seinen Augen sich im Wind bewegenden Kristallen überzogen. Wie in einem Kaleidoskop veränderten sich einzelne der dreieckigen Strukturen. Vor seinem inneren Auge wuchs das Unkraut an der Bahnstrecke, verwelkte zur gleichen Zeit, während die schrumpeligen Blätter des Löwenzahns immer größer wurden, sich um seinen Hals legten. Ihm war nicht klar, dass er unter Drogen stand.

Er ahnte es, sah sein eigenes Herz schlagen und immer wieder aufhören. Der riesige, rote Muskel stand still. Dann verschwand das Bild aus seinem Sinn.

Dann kehrte die Realität mit mächtigen Schritten, zurück, noch schien alles verzerrt. Die Dimensionen stimmten nicht. Irgendwo fuhr ein Motorrad ab, der Auspuff röhrte durch die nächtliche Stille. Einige Vögel begannen zu zwitschern. Es war ein Ton, der den Unbekannten eher an eine voll aufgedrehte Lautsprecheranlage erinnerte.

Eine kalte Brise aus Norden zog über den Sand. Er schien wie gefesselt, versuchte sich zu erinnern, noch nicht einmal sein Name fiel ihm ein. Sein rechter Arm fühlte sich an, als würde er im nächsten Augenblick explodieren.

Es war morgen geworden, die Helligkeit schmerzte ihn. Der Mann fror, immerfort überzog eine Gänsehaut seinen ausgemergelten Körper. Er klapperte mit den Zähnen, aus einem natürlichen Instinkt stellte er sich eine Sonne vor. Sie war warm und gab ihm das Gefühl von Geborgenheit. Zartes Licht durchflutete die nebligen Wolken, die über dem Boden wie eine undurchsichtige Masse waberten. Er würgte, sein Magen brannte, seine Speiseröhre schien wie verätzt. Sein Kopf nahm nur scheppernde Laute war, als würde neben ihm jede Sekunde Glas zerbrechen. Ihm war übel, der Gleichgewichtssinn spielte ihm Seekrankheit vor. Nur mit großer Mühe konnte er atmen. Auf jeden Luftzug musste er sich konzentrieren. Er verspürte immensen Lufthunger. Dann begann das Röcheln, seine Lungen rasselten, Schaum trat auf seine Lippen, wie ein Rinnsal lief der Schleim aus seinen Mundwinkeln. In den Minuten, wenn ein Zug auf der gegenüberliegenden Trasse vorbeiraste, vibrierten die Gleise. Er lag quer auf dem metallenen Strang. Soweit konnte er seine Lage realisieren, wollte und konnte jedoch in diesem Moment nichts daran ändern. Ein feines Zischen kam immer näher. Die Bäume an der Seite bewegten sich leicht im Wind. Im letzten Augenblick drehte sich der Mann weg, bevor der Güterzug über seinen Körper raste. Mehr Kraft verspürte er nicht mehr. Seine Extremitäten waren wie taub. Das Echo der quietschenden Bremsen verhallte im angrenzenden Waldstück. Er spürte den Luftzug eine ganze Weile. In seinen Gedanken verglühte er wie eine Zigarette, nur noch Asche war von ihm über. Der Mann sah mit halb geöffneten Augen auf das bunte Graffiti auf der anderen Seite der Trasse. Hinter ihm erschien Mauerwerk, das dann wieder verblasste, so sehr er sich auch darum bemühte, er konnte seine Augen nicht öffnen.

Sekunden danach wurden Kinderstimmen laut, ein Mädchen schrie nach Leibeskräften.

Der Unbekannte fiel wieder in eine Art Ohnmacht, zumindest fühlte er sich so, versuchte sich zu erinnern, aber er fiel, in der Trance hörte er die näher kommenden Sirenen, die dann verstummten, dumpfe Stimmen, Hände, die nach ihm griffen. An ihm rissen. Diesen Moment nahm er unbewusst wahr.

Eine weitere Bewusstlosigkeit folgte, er hörte die vertrauten Geräusche einer Peitsche, die durch die Luft glitt, dann auf seinen Körper traf, der Lederriemen riss ihm die Haut auf. Der Mann empfand diesen Schmerz, der seinen ganzen Körper durchzog, als besonders angenehm, ja erregend. Nackte Körper, deren Leiber dicht aneinandergedrängt zwischen den Bahngleisen lagen, die aufstöhnten, um dann in seiner Fantasie zu vermodern, zu vergehen.

Nochmal schlug der unsichtbare Geist mit der Peitsche auf ihn ein, dann gab er es auf. In den Gedanken des Unbekannten roch es nach Blut, Schweiß und Urin.

Vom Himmel fielen kleine Schneeflocken, obwohl die Sonne schien. Nur dumpfes Licht drang durch die morgendliche Kühle neben dem alten Wasserturm.

Stunden später lag er auf dem Krankenbett, eine blonde Schwester kam ständig herein, flugs schloss sie beim letzten Mal das Fenster. Alles erschien dem Mann durch einen Schleier, den er nicht zur Seite schieben konnte, so sehr er sich auch bemühte, seine Arme waren zerstochen. In seinem Kopf hämmerte der Schmerz.

Er war ein John Doe und fragte sich, woher er eigentlich kam, auch hatte er keine Erinnerung mehr an gestern, oder an die Zeit davor, ganze Jahre waren ausgelöscht. Aber wer war dieser John Doe?

Nur einige Fragmente setzten sich in seinem Kopf zusammen, verschwanden jedoch gleich wieder.

Drei Tage nach seiner Einlieferung meldete sich ein Richter bei ihm, der aufgrund der polizeilichen Ermittlungen in seinem Fall eingeschaltet worden war.

Der Jurist wirkte abgebrüht, teilnahmslos und zielgerichtet, den Fall zu Ende zu bringen, an den möglichen Umständen zeigte er kein Interesse.

„An was können Sie sich noch erinnern, Herr Paulsen?“, fragte der Richter heiser. Der schmalgesichtige Hüne war mit der Situation sichtlich überfordert.

„Zumindest sagen das Ihre Fingerabdrücke, die von der Wache in Hamburg Bergedorf im Jahr 1996 einmal nach einer Schlägerei genommen wurden.“

„Was für eine Schlägerei?“, antwortete der Mann, der sich fragte, ob er wirklich Paulsen hieß, knapp.

So sehr er auch in seiner Erinnerung grub, er konnte keine Auseinandersetzung mit jemanden ausmachen.

„1996?“, flüsterte er nochmals.

Der Richter nickte, blätterte in seiner Akte um.

„Sie sind im September des Jahres 2001 spurlos verschwunden, und sind damals durch Ihre Mutter, das war im März 2002, als vermisst gemeldet worden.“

Der Mann blätterte eine Seite um: „2012 wurden Sie für tot erklärt. Nun fand man sie an der Bahnlinie Hamburg-Bremen, ungefähr auf der Höhe von Rotenburg an der Wümme, kurz vor dem dortigen Bahnhof.“

Paulsen versuchte sich an den Namen des Richters zu erinnern, er fiel ihm nicht ein.

„Wie war noch Ihr Name?“

„Klinghammer. Dr. Klinghammer, ich bin Richter, ich habe zu entscheiden, ob Sie ein Alkoholiker sind und in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden. Ich muss auch über die Einrichtung einer Betreuung für Sie entscheiden. Sie sind ein Alkoholiker, der Jahre verschwand und dann wieder auftauchte.“

Paulsen war spindeldürr, er blickte nebenbei in den Spiegel, und erkannte sich selbst bald nicht als menschliches Wesen. Seine Zunge hing wie ein riesiger Knoten an seinem Gaumen, er war unfähig zu sprechen. Auf seinem  Körper hatten sich überall Narben gebildet. Davon wollte der Richter nichts wissen. Klinghammer war bestens über Paulsens Gesundheitszustand informiert.

Oberarzt Dr. Wolf hatte im Gang schon eine geraume Zeit mit dem Richter gesprochen.

„Es fanden sich keine Ausweispapiere, wohl aber das gedruckte Manual über eine Hinrichtung im Militärgefängnis der USA in einer Reisetasche.“

Der Jurist wurde bleich, er suchte nach Worten, schwieg dann jedoch.

„NSA?“, fragte er, flüsterte er leise.

„Woher soll ich das wissen, ich bin Arzt, nicht einer, der sich mit pathogenen Spitzeln abgibt. Wissen Sie, was er getan hat, um in die Situation zu kommen? Seine Arme sprechen Bände.“

Klinghammer schüttelte den Kopf. Dr. Wolf meinte in diesem Moment, dass der Jurist, der mokant lächelte, ihn belog.

„Er ist wohl intravenös ernährt worden“, ließ der Oberarzt noch wissen.

Der Richter blies den Atem hart aus. Auf der Station lief eine ältere Frau mit dem Rollator von einer Seite des Ganges zur anderen.

„Da war ein Hinrichtungsbefehl, der unterschrieben, aber noch nicht gestempelt war, unter seinen Sachen. Wenn die Amerikaner weitere dunkle Geheimnisse haben, sollte die Politik den Umstand erfahren.“ Der Oberarzt wartete einen Moment.

„Es ist nicht an uns, das zu klären, aber interessant ist es schon. Ich könnte unsere amerikanischen Freunde dazu befragen lassen. Über die Botschaft oder das Konsulat in Hamburg“, der Jurist machte sich Notizen.

„Können Sie sagen, wie er in allen Jahren gelebt hat?“, fragte Klinghammer.

Die Notfallglocke sprang für einen Augenblick an. Es war ein Fehlalarm.

„Nein, ich kann es nicht, aber ich nehme an, er ist in großen Schwierigkeiten gewesen. Der Mann ist offensichtlich gefoltert worden, von wem, das kann ich nicht sagen, das ist auch nicht meine Aufgabe. Er könnte unter einer partiellen Amnesie leiden, wie viele dieser Opfer.

Klinghammer fasste sich an den Kopf.

„Nach seiner Genesung könnte man ihn in die Psychiatrie einweisen.“

„Aus welchem Grund? Ich kann keine Einweisung in die geschlossene Psychiatrie erklären, der Mann ist völlig entkräftet. Sonst scheint er unter Schock zu stehen, wahrscheinlich ist es ein Wunder, dass er noch lebt.“

„Er lag auf den Gleisen und wie ich dem Polizeibericht entnehme, wollte er sich wahrscheinlich das Leben nehmen.“

„Ich denke eher, wenn ich mir die Auffindesituation von den Sanitätern anhöre, dass er dort abgelegt wurde, also ein Verbrechen an ihm verübt wurde.“

„Zunächst muss er sich körperlich erholen, dann sehen wir weiter.“

„Was ich überhaupt nicht erklären kann, ist die eigentlich für die Pest typische Erscheinung von Geschwüren in der Achsel und in der Leiste. Es sieht aus, als hätte er die Pest gehabt, aber keinerlei andere Symptome, eine Art Pseudopest ohne tödlichen Verlauf.“

Der Jurist schüttelte wieder seinen Kopf.

„Das klingt sehr abenteuerlich, Herr Doktor, das müssen Sie wohl zugeben, oder?“

„Das ist aber so, soll ich die Diagnose fälschen?“

„Vielleicht nicht eine solche stellen. Vielleicht hat der für mich mutmaßliche Alkoholiker einfach vergrößerte Lymphknoten. Er ist ein Penner.“

„Was wollen Sie damit andeuten?“, Wolf war überrascht und fühlte sich leicht übertölpelt.

Der Richter nickte, wie um sich sein eigenes Urteil zu bestätigen, reichte dem gestressten Oberarzt die rechte Hand, der nur den Kopf schüttelte.

„Na, wir werden sehen!“, seine Stimme klang für den Mediziner kalt und unnahbar.

Manchmal geisterten Schatten durch sein Gehirn, Erinnerungsfetzen wie der, dass er für Jahre in einem dunklen Raum gesessen hatte, in dem Kirchenchoräle erklungen waren. Er erinnerte sich an Schweinebraten, an Spanferkel, an Salami, auf der immer wieder zu lesen stand „pur porc“. Es waren nur Gedanken, die auch genauso schnell wieder verflogen.

Ein Mann mit einer Henkersmaske kam, er brachte die Waage, er hatte zu wenig Gewicht, um hingerichtet zu werden und er wusste noch nicht einmal warum. Dann wieder drohte er zu ersticken, in den langen, kalten Nächten, die wie im Schlaf vergingen. Die Klimaanlage lief unaufhörlich, manchmal fürchtete er Erfrierungen, im nächsten Augenblick zu verbrennen.

Tags zuvor hatten sie ihn auf den elektrischen Stuhl gesetzt, dann drehte der Henker den Strom auf, sein Körper brannte, irgendwann wurde er bewusstlos und wünschte sich, dass alles bald ein Ende nahm. Dieses gleißende Licht, das ihn frieren ließ und das monotone Gesumme des Generators, das Tropfen der Klimaanlage in dem aus dunklem Beton bestehenden Raum, irgendwo tief unter der Erde war er begraben, lebendig und doch tot.

Die Männer hatten nie mit ihm gesprochen, sie waren Herren der Tat, der eine, ein kleiner, aber drahtiger Bursche, trug eine Jeans. Jeden Tag eine andere Farbe, mal ein aggressives rot, den nächsten Tag ein schwarzes blau, die Jeans war verwaschen. So ging es Tag um Tag. Was wollten diese Maskierten erreichen?

Wochen und Monate, so kam es ihm vor, verbrachte Pete in einer der zahllosen Hock-und Stehzellen. Es war ein Käfig, seine Hände waren an Gitterstäbe gefesselt, die Handschellen konnten elektrischen Strom, je nach Belieben der Folterknechte, abgeben. Der Schlafmangel, der Durst, der Hunger brachten ihn fast um.

Er war bereit, alles auszusagen, jedes Geständnis abzulegen, das man von ihm verlangte.

Einer der Wärter urinierte alle zwei Stunden in seinen Käfig, irgendwann trank Pete den Urin. Der Wärter grinste und wollte von ihm hören, wie der neue Jack Daniels schmeckte. Pete wollte nur noch sterben. Die gleißende Sonne, dann der Regen.

Immer wieder sah er die Männer, die ihn auf der Liege festschnallten, ein weiterer, der kein Gesicht hatte, las etwas vor, dann sah er in den Scheinwerfer. Die Männer führten einen Venenzugang in seinen linken Arm ein, er zitterte, dann tropfte eine Flüssigkeit in den kurzen Schlauch, Paulsen bekam keine Luft mehr, plötzlich wurde er müde, er sah noch den Geistlichen, der am Fußende der Liege stand. Dieser Geistliche sprach, Pete jedoch hörte kein Wort mehr. Dann schlief er ein, seine Augen flackerten, Nochmals ging sein Leben wie in einem Schnelldurchlauf an ihm vorbei, wie ein Traum, den er nicht vergessen konnte. Immer wieder erinnerte er sich an den Tag, als der letzte Fall begann, an diesen Morgen, als das Telefon klingelte. Paulsen suchte in Gedanken nach dem schwarzen Nokia mit der Stummelantenne. Er hörte das Klingeln, der Anruf von Rechtsanwalt Plittermann. Er sollte in die Kanzlei kommen, eine junge Frau war verschwunden, Leyla. Der Vater machte sich größte Sorgen. Leyla war eine Jugendliche, die wahrscheinlich von zu Hause abgehauen war, dachte er an dem Tag so bei sich, als er Plittermann in seiner Kanzlei aufsuchte. Plittermann fühlte sich recht unbequem in  Gegenwart des Privatdetektivs und versuchte das Gespräch so kurz wie möglich zu halten. Plittermann war einer dieser aalglatten juristischen Dandys, die vom wahren Leben keine Ahnung hatten.

„Die Familie lebt seit mehr 30 Jahren in Deutschland, das Mädchen ist sehr westlich orientiert, ich kenne sie selbst.“ Er legte das Bild der jungen Frau, die außerordentlich hübsch war, wie Pete befand, auf den Tisch vor ihn.

„Die Ermittlungen der Polizei führten leider nicht zu einem respektablen Ergebnis“, Plittermann war in Eile, er griff nach seinen Akten, blickte auf die Armbanduhr.

„Ist die Familie in politische Angelegenheiten verwickelt?“ Paulsen blickte den Anwalt an und wusste in diesem Moment, dass Plittermann lügen würde.

„Nun die Familie fühlt sich den Traditionen ihrer Heimat verpflichtet und die Tochter hatte einmal einen Onkel angegriffen, der sie seit Jahren dazu zwingen wollte, den Fundamentalismus anzunehmen, Burka tragen und so etwas. Aber diesen Onkel schließe ich als Täter aus. Es gab wohl auch mehrere sexuelle Misshandlung und die Aufforderungen an die Eltern, sie mit einem Mann in Afghanistan zu verheiraten, angeblich wurde der Vater erpresst. Von den dort herrschenden Taliban.“

Plittermann verzog das Gesicht, offensichtlich war er sich nicht sicher, ob er den richtigen Detektiv für die Arbeit ausgesucht hatte. Der Privatdetektiv stellte nach dem Geschmack des Anwalts zu viele Fragen.

„In diesen Familien wird hier über solche Taten geschwiegen“, wich Plittermann aus.

„Das gehört auch zur Tradition, dass die Mädchen entführt werden, bei innerfamiliären Spannungen.“

Der Kaffee schmeckte schal und Paulsen überlegte eine ganze Weile, ob er den Auftrag annehmen sollte. Der Anwalt wollte ein paar Berichte, Paulsen sollte aufschreiben, was er für das Geld tat. Natürlich wollte er auch eine Rechnung. An der Wand des Besprechungszimmers hing eine Gitarre, auf der in goldenen Buchstaben der Namenszug von Paul Anka aufgemalt war. Plittermann war ein gefeierter  Paul Anka Imitator in seiner Freizeit.

An diesem Morgen war eine Frau in der Klärwasseranlage von Mümmelmannsberg gefunden worden, entsetzte Mitarbeiter hatten die Polizei informiert. Das Gesicht konnte auch zu Leyla passen. Zu jeder jungen Frau in Hamburg dieser Tage.

Der Todeszeitpunkt war nicht mehr zu ermitteln. Die Leiche war durch Tiere und durch den normalen Fäulnisprozess stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Wo war Leyla?

Wer war Leyla?

Paulsen schlief wieder ein. Er schreckte hoch, in seinen Gedanken blätterte er in dem verstaubten und vergilbten CIA Jahresbericht von 1980.

„Nur durch neue militärische Konflikte wird die USA   nach dem möglichen Fall des Kommunismus in der Lage sein, ihre Weltmachtstellung aufrecht zu erhalten“, flüsterte Paulsen leise.

Die schwarze Witwe

Berlin, Alexanderplatz, 16. Februar 2014

Es regnete stark, die Tropfen prasselten auf das Pflaster. Auf dem Bürgersteig bildeten sich kleine Pfützen. Die meisten Passanten warteten unter der sich im Wind aufblähenden Markise des Elektronikmarktes.

Ein roter Nissan älteren Baujahrs bog um die Ecke, hielt für einen kurzen Augenblick vor der Bäckerei. Der Auspuff des Geländewagens klapperte. Der nachfolgende Verkehr stockte in der Seitenstraße, der Fahrer eines grauen Sprinters hupte mehrfach hintereinander. Er war genervt, kurbelte die Scheibe hinab und schrie: „Mensch, wir sind nicht in Anatolien.“

Der Geländewagenfahrer drehte sich weg, als die Frau an der U-Bahn Station ausstieg. Danach gab er schnell Gas und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Der junge Mann mit dem mobilen Currywurststand, dessen Rost um seinen Bauch geschnallt war, lächelte ihr kurz zu. Sie wandte den Blick ab, schien leise zu beten, raffte dabei ihr Kopftuch und verschwand an der Rolltreppe. Ein Polizeiwagen raste vorbei, das Martinshorn war weithin hörbar.

In der Berliner U-Bahn herrschte reger Betrieb, eine Schulklasse folgte im Gänsemarsch der Lehrerin. Ein weiterer Zug zum Bahnhof Friedrichstraße rollte ein, die metallenen Räder klapperten auf den Schienen. Es roch nach frischem Gebäck, eine junge Frau las in einer Zeitschrift, sah immer wieder auf, wartete nervös auf den nächsten Anschluss.

Die Bombe explodierte, ein kleiner Feuerball breitete sich aus, die Frau in der schwarzen Burka stand in einer Stichflamme, die blaugrün zuckte.

Dann erst warf die eigentliche Explosion einige Kinder um, eine heiße Welle folgte. Einige Mädchen schrien laut auf, dann verstummten sie. Ein Rucksack lag auf den Gleisen. Eine Frau lag am Boden, die Orientalin brannte wie eine Fackel, die Kleidung, die

Haut schälten sich ab, fielen in Funken von ihr, sie stand immer noch. Die riesigen Flammen schienen sie zu halten.

Leises Gemurmel wurde laut, von Gejammer abgewechselt, während die Leiche verbrannte, die Hände, die Arme grotesk abgewinkelt. Im nächsten Augenblick schepperte eine Glocke. Zwei Polizeibeamte rannten auf den Ort des Geschehens zu. Schnell stellten Einsatzkräfte fest, die eilends die Treppe heruntergerannt kamen, dass weitere Sprengsätze sie verletzen sollten. Sprengstoffsuchhunde bellten in dem dichten Rauch. In mehreren Mülleimern waren in Tetrapacks Explosivkörper versteckt worden, die noch nicht detoniert waren.

Vor dem Bahnhof parkte ein Geländewagen der von den Einsatzkräften kontrolliert noch in der Straße, vor einem Schuhgeschäft und einem Burgerladen, gesprengt wurde. Aus dem U-Bahn Tunnel zog immer noch schwarzer Qualm, ein Feuer fraß sich langsam durch die Klimaanlage, die die nach oben führenden Ventilationsschächte.

Tote im See

Stadtparksee Hamburg, 19. Februar 2014

Der leblose, augenscheinlich nackte Mann trieb vor dem kleinen Felsen, der sich aus dem See erhob. Mehrere Hundehalter, ein Jogger und ein Pärchen, das am Ufer spazierte, versammelten sich.

Mit den Worten „Der ist tot, da haben die Polizisten einen schönen Sonntag“, wählte einer der Männer den Notruf.

„Da schwimmt noch ein Koffer und etwas anderes“, wies einer der Anwesenden auf die Wasseroberfläche kurz vor dem Schlick hin.

„Der hat den Rest einer Ledermaske auf.“

„Ja, ich sehe es“, bemerkte einer der Spaziergänger beiläufig, zog an der Leine mit seinem Dackel, der anfing zu kläffen.

„Da ist wohl was schief gegangen!“, witzelte ein Jogger.

Ein junges Mädchen, die mit ihrer Freundin vorbeikam, blieb kurz stehen und starrte auf den leblosen Körper, der nun unweit des Ufers trieb.

„In der Nähe zur Alten Wöhr am Stadtparksee haben sie einen Toten gefunden, in der unmittelbaren Nähe zum Bootsverleih an der Liebesinsel“, beendete der ältere Herr den Anruf bei der Polizei.

„Ich warte dort, nein, wir gehen nicht an die Leiche. Mein Name war Schubert wie der Komponist.“ Dann legte er auf.

„Hier wurde doch vor einigen Jahren schon mal ein Paddler vermisst“, meinte Neumayer zu Grzlak, der sich an den Fall auch noch gut erinnern konnte.

KHK Neumayer lehnte an seinem Einsatzwagen, überblickte das Gelände, er war müde, gähnte. Den alarmierten Wasserrettungskräften gelang es nur mit Mühe den See abzusuchen. Immer fiel Regen, der dann in Schnee überging. Ein Taucher machte sich bereit, den ufernahen Bereich abzusuchen.

„Die Leiche sieht übel aus.“ Vom Körper lösten sich Haut und Gewebe in Fetzen ab, mehrere innere Organe lagen offen, Knochen standen aus einem Bein und dem Becken.

„Was sagt der Gerichtsmediziner?“, Martin Grzlak nickte kurz, unmerklich, fasste sich an die Nase:

„Herr Doktor, was haben wir?“, der Rechtsmediziner blickte auf, seine Augen waren gerötet, er roch nach Alkohol und Rauch.

„Ich schätze mal, der schwimmt schon einige Zeit hier drin. Der rechte Fuß ist ab, das sagt mir, dass er wahrscheinlich mit irgendeinem Gegenstand beschwert wurde. Irgendjemand hat die Leiche in den Sack verpackt, dadurch bildete sich diese Fettwachsschicht. Ich schätze, dass die Leiche 2008 oder im Jahr darauf, wahrscheinlich im Winter 2008/2009 hier abgelegt wurde.“

„Das wären bald 5 Jahre!“

„Ja, aber wie gesagt, das ist eine Schätzung. Wie üblich werden die Schicksale meiner Patienten nicht am Tatort, sondern am Obduktionstisch und in der KTU geklärt.“

Der Kommissar lächelte freundlich, zündete sich noch eine Zigarette an. Er warf das Streichholz in das nahe Gebüsch. Aus einem iPhone von jungen Leuten, die hinter der weiß-roten Absperrung warteten und das Geschehen beobachteten, dröhnte „Da-Da-Da“ von Trio. Der Beat gefiel dem Kommissar, erinnerte ihn an seine Jugend.

„Eh Alter, haben die einen kalt gemacht?“, fragte der junge Mann, der mit seinen Freunden Witze über den Toten machte.

„Ja, wenn du es so ausdrücken willst…“

„Das muss doch jemandem aufgefallen sein, der hier wohnt oder Spaziergängern“, meinte Grzlak und sah sich den Koffer an, den die Taucher mittlerweile geborgen hatten.

„Mir wäre wohler, wenn wir wüssten, wer der Tote ist. Waren da keinerlei sonstige Kleidungsreste, außer der Levis, die an dem armen Kerl hängt und dieser seltsamen Lederkappe?“

„Das weist für mich auf Sadomasoszene hin oder auf bestimmte homosexuelle Praktiken. Ich hatte schon mal in der Ausbildung damit zu tun.“

„Ach tatsächlich“, meinte Neumayer neugierig und grinste ihn an.

„Ja, da wurde eine Leiche in einem Hochhaus aufgefunden, das war so eine Absteige, so ein privater Club, der in der Szene recht bekannt war.“

Zahlreiche Blasen stiegen aus dem See auf. Einer der Taucher gab ein Signal an das Boot.

„Wie tief ist der See?“

„Vielleicht zehn Meter. Nicht tiefer. Der hat ja nur über die Kanäle Zufluss.“

Eine eisige Böe kam aus Richtung Osten auf und trieb über den See, jetzt peitschte der Regen auf die Oberfläche des Sees.

Die Sonne verschwand hinter grauen ziehenden Wolken.

Vom Boot aus rief einer der Taucher: „Wir haben eine zweite Leiche, die einer Frau, die ist an einem versunkenen Bootskörper festgemacht. Der Körper hat sich in einem Netz verfangen, wie auch der von unserem Toten wahrscheinlich. Da unten findet sich im Schlick auch der Rest des rechten Fußes von unserem unbekannten Toten. Einer der Taucher hat sich in einem Netz verfangen und die müssen Sauerstoffflaschen nach unten bringen, um ihn zu befreien.“

Ein weiteres Boot des THW fuhr schnell an den Fundort heran.
Eine weitere Leiche war geborgen worden, die in einem schwarzen Plastiksack an Land gebracht wurde.

Neumayer verstummte, während Kriminaltechniker und Feuerwehrmänner die Leiche ausluden. Einen Augenblick fokussierte er die menschlichen Überreste, die nun auf einer grauen Plane lagen.

„Das war dem Gesicht nach Magda. Ich kenne die Frau, die war als Obdachlose unterwegs, manchmal schlief sie in der Stadt auf Lüftungsschächten neben dem Rathaus, aber ich habe sie schon Jahre nicht mehr gesehen.“ Neumayer zündete sich eine weitere Zigarette an. Angewidert sah auf die Konturen, um die sich Fettwachs wie eine dicke Schicht gebildet hatte. Dem Kommissar war bei dem Anblick übel.

„Woher kennst du diese Magda?“, fragte ihn sein Kollege beiläufig.

„Die war, als ich beim Raub arbeitete in Billstedt, beim KK 41, Ende 1995, mal Zeugin eines Banküberfalls in Bergedorf. Danach hat sie eine ganze Zeit in einer städtischen Wohnung in der Mendelstraße gewohnt und ist dann irgendwie wieder abgerutscht. Die Magda Schreiner kam aus der DDR, ich glaube 1989 über Ungarn. Die war bei diesem Paneuropäischen Fest dabei, wo die ganzen Leute über die Grenze gelaufen sind. Das hat sie mir mal im Zuge der Zeugenaussage beiläufig erzählt, ihre Beziehung ging kurz nach der Ankunft im Westen in die Brüche, er stellte ihr einfach die Koffer auf die Straße, weil er eine andere hatte und sie war schwanger mit einer Tochter, die aber nicht bei ihr aufwuchs. So genau bekomme ich das nicht mehr auf die Reihe. Wahrscheinlich kam das Kind damals zu Pflegeeltern, sie wünschte sich, als ich sie irgendwann Anfang 1996 in der Unterkunft in der Mendelstraße besuchte, dass sie ihre Tochter nachholen konnte. In den Tagen waren viele Flüchtlinge vom Balkan dort einquartiert und sie hatte mit einer Bosnierin Freundschaft geschlossen, die bei Aldi, schräg gegenüber als Packhilfe arbeitete. Ich war sicher, sie war auf einem guten Weg.“

„Weißt du, wie die Tochter heißt?“, Grzlak trat an seinen Kollegen heran und rutschte fast auf dem glitschigen Boden aus. Die Sonne kam für ein paar Minuten durch.

„So was wie Norma, Jacqueline oder was die in der DDR so gerne mochten. Das Mädchen soll ein Blondschopf gewesen sein. Ziemlich flippig.“

„Ich werde das mal versuchen rauszufinden, vielleicht kann die uns etwas über die seltsamen Verbindungen ihrer Mutter sagen. Oder der Ex.“ Neumayer schrieb mit klammen Fingern etwas in sein Notizbuch.

„Der ist ein Säufer gewesen, der hat für eine Versicherungsagentur oder ein Maklerbüro gearbeitet“, antworte Neumayer, der Wind frischte wieder auf.

„Der oder die Täter waren sehr geschickt. Das sollte wie ein Badeunfall aussehen. Beide Tote jedoch sind gefoltert worden“, erneut nahm der Gerichtsmediziner eine Tüte und eine Pinzette zur Hand, Grzlak beobachtete ihn dabei.

„Warum sollte man eine Obdachlose foltern?“, warf Grzlak ein, nippte am Kaffee und versuchte erneut die Indizien in seinem Kopf  zu ordnen.

„Rechtsradikale? Irgendwelche Durchgeknallte? Weiß ich, was damals passiert ist?“, fragte Dr. Schwarz und richtete sich auf, er streckte sich.

Im Kommissariat war bekannt, wo sich die Obdachlosenszene aufhielt. Grzlak hoffte, bei denen, die schon vor Jahren  der Gruppe angehörten, etwas zu erfahren. Für gewöhnlich war es sehr schwer überhaupt aus dem Milieu Informationen zu erhalten, da in den Kreisen die Polizei als natürlicher Feind angesehen wurde.

Martin Grzlak versuchte es zunächst in der Passage vor dem alten Landeskriminalamt, in dem die Asbestsanierungsarbeiten auf Hochtouren liefen. Er erinnerte sich der Tage, als  er in dem Hochhaus 1976 seinen Dienst antrat, als er die Rolltreppe in den U-Bahn Tunnel nahm. Auf der rechten Seite, neben dem Kiosk traf auf einige alte Bekannte aus dem Milieu.

„Kennt ihr noch die Magda?“, fragte Grzlak den bärtigen Mann, der gerade einen tiefen Schluck aus der Flasche Korn nahm. Der Geruch nach Fäkalien und Alkohol erregte in dem Kommissar eine starke Übelkeit. Grzlak hielt  dem Mann vor sich das Foto aus der ehemaligen Einwohnermeldekartei hin.

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