Titelbild: Beispielbild kasaan media, 2025
Eine Löwenmutter fraß, ausgerechnet in Nürnberg, drei ihrer Jungen.Warum machte sie das?
Infantizid, das Töten von Jungtieren der eigenen Art, ist ein Verhalten, das in der Zoologie als komplexes und evolutionär geprägtes Phänomen betrachtet wird. In Zoos weltweit tritt Infantizid auf, obwohl die Bedingungen in Gefangenschaft stark von denen in freier Wildbahn abweichen. Dieses Verhalten wirft ethische, biologische und populationsdynamische Fragen auf, die eine differenzierte Betrachtung erfordern. Um Infantizid in Zoos umfassend zu beleuchten, müssen die Gründe für sein Auftreten, die Unterschiede zwischen freier Wildbahn und Gefangenschaft, die Rolle von Zoos im Artenschutz sowie die damit verbundenen Herausforderungen und Lösungsansätze betrachtet werden.
In freier Wildbahn ist Infantizid häufig eine adaptive Reproduktionsstrategie, die insbesondere bei männlichen Tieren beobachtet wird. Wissenschaftler sehen darin einen Mechanismus der sexuellen Selektion, bei dem Männchen die Jungtiere eines Konkurrenten töten, um die Weibchen schneller wieder empfängnisbereit zu machen und eigene Nachkommen zu zeugen. Dieses Verhalten tritt vor allem bei Arten mit starkem Geschlechtsdimorphismus auf, wie bei Löwen, Schimpansen oder Hanuman-Languren. Beispielsweise töten neue Rudelführer bei Löwen oft die Jungtiere ihres Vorgängers, um ihre eigenen Gene weiterzugeben. Weibliche Tiere haben ihrerseits Strategien entwickelt, um diesem Risiko zu begegnen, etwa durch polygame Paarungen, die die Vaterschaft unklar lassen und so Angriffe auf Jungtiere reduzieren. Infantizid kann jedoch auch durch andere Faktoren wie Ressourcenknappheit, Überbevölkerung oder sozialen Stress ausgelöst werden, wie es bei Schimpansen oder Afrikanischen Wildhunden beobachtet wurde.
In Zoos treten ähnliche Verhaltensmuster auf, obwohl die Umwelt stark kontrolliert ist. Die Gründe für Infantizid in Gefangenschaft sind vielfältig und unterscheiden sich teilweise von denen in der Wildnis. Zoos bieten ausreichend Nahrung und Schutz vor Fressfeinden, wodurch der evolutionäre Druck durch Ressourcenknappheit entfällt. Dennoch können soziale Dynamiken, wie der Wechsel eines dominanten Männchens, zu Infantizid führen. Beispielsweise kann ein neues Männchen in einer Primaten- oder Löwengruppe versuchen, die Nachkommen eines Vorgängers zu eliminieren, um seine eigene Fortpflanzung zu fördern. Diese Instinkte sind angeboren und persistieren auch in der künstlichen Umgebung eines Zoos. Darüber hinaus können Stressfaktoren wie begrenzter Platz, unnatürliche Gruppenstrukturen oder häufige Eingriffe durch Pflegepersonal das Risiko für Infantizid erhöhen. Studien an Laborratten zeigen beispielsweise, dass häufige Störungen, wie das Reinigen von Käfigen, die Neststabilität beeinträchtigen und zu infantiziden Handlungen durch die Mutter führen können.
Ein weiterer Aspekt ist die Rolle von Zoos im Artenschutz und wie Infantizid das Management von Populationen beeinflusst. Zoos weltweit sind zentrale Akteure im Erhalt bedrohter Arten, indem sie Zuchtprogramme durchführen und genetische Vielfalt sichern. Datenbanken wie das Zoological Information Management System (ZIMS), das Informationen zu Millionen von Zootieren sammelt, unterstützen diese Bemühungen. Doch Infantizid kann diese Programme gefährden, da der Verlust von Jungtieren die Populationsziele untergräbt. Zoos stehen daher vor der Herausforderung, natürliche Verhaltensweisen mit dem Ziel des Artenschutzes in Einklang zu bringen. Manche Zoos kontrollieren die Fortpflanzung durch Verhütungsmethoden, um Überpopulation zu vermeiden, was jedoch langfristig zu älteren Populationen führen kann, die weniger fortpflanzungsfähig sind. Andere Zoos setzen auf gezielte Tötungen überzähliger Tiere, um Platz für fortpflanzungsfähige Populationen zu schaffen, was jedoch ethisch kontrovers diskutiert wird, wie der Fall der Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo zeigt.
Die ethischen Implikationen von Infantizid in Zoos sind ein zentraler Punkt in der Debatte. Während in der Wildnis Infantizid als Teil der natürlichen Selektion akzeptiert wird, wird es in Zoos oft als problematisch angesehen, da die Tiere in einer künstlichen Umgebung gehalten werden, in der menschliche Eingriffe die natürlichen Dynamiken verändern. Kritiker argumentieren, dass Zoos die Verantwortung tragen, solche Verhaltensweisen durch bessere Gehegegestaltung, soziale Gruppenstrukturen oder Stressmanagement zu minimieren. Gleichzeitig betonen Befürworter, dass das Zulassen natürlicher Verhaltensweisen, einschließlich Infantizid, den Bildungsauftrag von Zoos stärken kann, indem es Besuchern die Realitäten der Tierwelt vermittelt. Zoos haben die Möglichkeit, durch transparente Kommunikation das Verständnis für komplexe biologische Prozesse zu fördern und gleichzeitig ihre Rolle im Artenschutz zu unterstreichen.
Weltweit variieren die Ansätze im Umgang mit Infantizid in Zoos, abhängig von kulturellen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen. Europäische Zoos, die oft dem Verband der Zoologischen Gärten (VdZ) oder der European Association of Zoos and Aquaria (EAZA) angehören, setzen auf wissenschaftlich fundierte Zuchtprogramme und Datenbanken wie die EAZA Biobank, um biologische Proben für die Forschung zu nutzen und das Verständnis von Verhaltensmustern wie Infantizid zu vertiefen. In Nordamerika und anderen Regionen gibt es ähnliche Initiativen, doch die Praktiken können sich unterscheiden, etwa in der Akzeptanz von Tötungen überzähliger Tiere. Die Zoo Science Library, eine Initiative des VdZ und der EAZA, dokumentiert wissenschaftliche Erkenntnisse, die auch das Verständnis von Infantizid fördern. Solche Datenbanken zeigen, dass Zoos nicht nur Orte der Tierhaltung sind, sondern auch multidisziplinäre Wissenschaftszentren, die zur globalen Forschung beitragen.
Um Infantizid in Zoos zu minimieren, werden verschiedene Strategien verfolgt. Dazu gehören die Schaffung artgerechter Gehege, die natürliche soziale Strukturen nachbilden, sowie die sorgfältige Auswahl von Tieren für Zuchtprogramme, um Konflikte zwischen Männchen zu reduzieren. Medizinisches Training ermöglicht es, biologische Proben stressfrei zu gewinnen, was wiederum die Forschung zu Verhaltensmustern unterstützt. Langfristig könnten genetische Analysen helfen, Tiere mit geringerer Neigung zu infantiziden Verhaltensweisen zu identifizieren, obwohl dies evolutionäre Prinzipien beeinträchtigen könnte. Bildungsprogramme in Zoos sensibilisieren Besucher für die Komplexität solcher Verhaltensweisen und fördern ein tieferes Verständnis für die Notwendigkeit, natürliche Prozesse mit Artenschutzzielen zu balancieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Infantizid in Zoos ein vielschichtiges Phänomen ist, das sowohl biologische als auch ethische Fragen aufwirft. Während es in der Wildnis eine evolutionäre Strategie darstellt, stellt es Zoos vor Herausforderungen im Hinblick auf Artenschutz, Tierwohl und öffentliche Wahrnehmung. Durch wissenschaftliche Forschung, optimierte Haltungsbedingungen und transparente Kommunikation können Zoos dazu beitragen, dieses Verhalten besser zu verstehen und zu managen, während sie ihre Rolle als Bildungs- und Artenschutzzentren weiter ausbauen. Die globale Zusammenarbeit, unterstützt durch Datenbanken wie ZIMS und Initiativen wie die Zoo Science Library, ist entscheidend, um langfristige Lösungen zu entwickeln, die sowohl den Tieren als auch den Zielen des Artenschutzes gerecht werden.
