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DDR

Behinderte in der DDR

Titelbild: Beispielbild DDR, 1988, kasaan media, 2025

Die Situation behinderter Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war geprägt von einem widersprüchlichen Spagat zwischen offiziell proklamierter sozialistischer Gleichheit und einer in der Praxis stark ausgrenzenden, medizinisch-verwaltenden Politik.

Die DDR verstand sich als Staat der Arbeiter und Bauern, in dem jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten zur Gesellschaft beitragen und entsprechend seinen Bedürfnissen versorgt werden sollte.

Behinderung passte nur schlecht in dieses Bild der leistungsfähigen sozialistischen Persönlichkeit, weshalb sie möglichst unsichtbar gemacht oder „korrigiert“ werden sollte.Kinder mit erkennbaren Behinderungen wurden häufig bereits kurz nach der Geburt von ihren Familien getrennt und in spezielle Heime des Gesundheitswesens eingewiesen.

Diese Einrichtungen unterstanden nicht dem Bildungs-, sondern dem Gesundheitsministerium und galten offiziell als „Pflegeheime“ oder „Sondereinrichtungen für heilpädagogische Behandlung“. In der Realität waren viele dieser Heime, vor allem in den 1950er bis 1970er Jahren, stark unterfinanziert, überbelegt und personell völlig unzureichend ausgestattet.

Berichte ehemaliger Insassen und Mitarbeiter schildern katastrophale hygienische Zustände, mangelhafte Ernährung, jahrelanges Liegen in Gitterbetten ohne jede Förderung sowie den massiven Einsatz von Psychopharmaka zur Ruhigstellung. Körperlich behinderte Kinder wurden oft als „nicht bildungsfähig“ eingestuft und erhielten keinerlei Schulunterricht, geistig behinderte Kinder landeten teilweise lebenslang in geschlossenen Abteilungen. 

Besonders perfide war das System der sogenannten „Sonderkindergärten“ und „Sonderschulen“. Zwar gab es für leichter behinderte oder lernbeeinträchtigte Kinder ein Netz von Hilfsschulen (ab 1968 offiziell „Schulen für Geistigbehinderte“ oder „Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf“), doch die Zuweisung erfolgte meist ohne echte Diagnostik, sondern nach dem Prinzip „wer stört, fliegt raus“. Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder mit Verhaltensauffälligkeiten wurden häufig pauschal als „debile“ oder „imbecil“ eingestuft und verschwanden für immer aus dem Regelschulsystem. Einmal in einer Sonderschule, war der Weg zurück nahezu unmöglich; die Abschlüsse waren wertlos für eine Berufsausbildung im normalen Betrieb.Erwachsene mit Behinderungen hatten es kaum leichter.

Die DDR kannte zwar einen gesetzlich verankerten Schutz behinderter Menschen (z. B. durch die Verfassung von 1968/1974 und das „Gesetz über die Teilnahme behinderter Bürger am Leben der Gesellschaft“ von 1975), doch in der Praxis bedeutete dies meist die Unterbringung in Behindertenwerkstätten (BWS) oder Heimwerkstätten mit extrem niedrigen Löhnen (oft 150–300 Mark im Monat) und ohne echte berufliche Perspektive. Schwerbehinderte, die als „nicht arbeitsfähig“ galten, wurden in Heimen „verwahrt“ und erhielten eine minimale „Pflegezulage“. Viele Familien, die ihre behinderten Angehörigen zu Hause pflegten, standen allein, denn ambulante Dienste oder persönliche Assistenz gab es praktisch nicht. Barrierefreiheit war ein Fremdwort – weder öffentliche Gebäude noch der Nahverkehr waren auch nur ansatzweise rollstuhlgerecht.Ein besonders dunkles Kapitel war die Zwangssterilisation und der Schwangerschaftsabbruch bei behinderten Frauen. Obwohl die DDR 1972 den § 218 liberalisierte und Abtreibung weitgehend freigab, wurden Frauen mit diagnostizierter geistiger Behinderung oder schweren Erbkrankheiten oft unter Druck gesetzt oder ohne ihr Einverständnis sterilisiert. In einigen Heimen gehörten „medizinische Eingriffe“ zur Regel, um „weitere Belastungen für die Gesellschaft“ zu verhindern.

Erst in den 1980er Jahren, beeinflusst durch internationale Behindertenbewegungen und den Druck der Kirche, begann eine vorsichtige Öffnung.
Es entstanden erste integrative Kindergärten, einige Betriebe experimentierten mit Arbeitsplätzen für Behinderte außerhalb der BWS, und behinderte Menschen selbst begannen sich – meist im Schutz der Kirche – zu organisieren. Doch diese Ansätze blieben marginal und erreichten die großen Heime im Landesinneren kaum.

Insgesamt war die Politik gegenüber behinderten Menschen in der DDR von einem tiefen Widerspruch durchzogen.

Einerseits wurde offiziell Gleichheit und Fürsorge propagiert, andererseits wurden Menschen mit Behinderungen systematisch aus der Gesellschaft ausgegliedert, entrechtet und in vielen Fällen menschenunwürdig behandelt. Die Devise schien zu lauten. Behinderung darf es im Sozialismus eigentlich nicht geben – und wenn doch, dann möglichst unsichtbar und ohne große Kosten. Erst nach der Wende 1990 kamen viele der Zustände in den Heimen ans Licht, und zahlreiche ehemalige Insassen kämpfen bis heute um Anerkennung und Entschädigung.

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