Titelbild: Beispielbild PixabayDie Parlamentswahlen in der Republik Moldau am 28. September markieren einen entscheidenden Moment in der jüngsten Geschichte dieses kleinen, aber geopolitisch hochbrisanten Landes am Rande der Europäischen Union, wo pro-westliche und pro-russische Kräfte seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 um die Vorherrschaft ringen. Mit einer Bevölkerung von rund 2,4 Millionen Menschen, die zwischen Armut, Korruption und dem Schatten des Ukraine-Kriegs lebt, stand die Abstimmung unter dem Motto einer fundamentalen Wahlrichtung. Soll Moldau seinen beschwerlichen Pfad zur EU-Integration fortsetzen, der mit dem Kandidatenstatus im Juni 2022 begann und durch ein knappes Referendum im Oktober 2024 mit 50,4 Prozent Ja-Stimmen zementiert wurde, oder kehrt es in die Sphäre Moskaus zurück, wo wirtschaftliche Abhängigkeiten und kulturelle Bindungen locken? Präsidentin Maia Sandu, die liberale und entschlossene Anführerin der pro-europäischen Partidul Acțiune și Solidaritate (PAS), hatte die Wahl als den „wichtigsten Wahlgang seit der Unabhängigkeit“ bezeichnet und warnte vor einer „existentiellen Bedrohung“ durch russische Einflussnahme, die nicht nur die Demokratie, sondern auch den Frieden des Landes gefährde. Tatsächlich überschatteten Vorwürfe massiver russischer Interventionen den gesamten Wahlkampf und den Wahltag selbst, von Desinformationskampagnen in sozialen Medien bis hin zu Cyberangriffen und Stimmenkäufen, die die moldauischen Behörden als „unpräzise“ russische Strategie zur Destabilisierung brandmarkten.
Der Wahlkampf, der im Frühjahr 2025 Fahrt aufnahm, war von Anfang an von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Spannungen geprägt, die die Unzufriedenheit in der Bevölkerung schürten. Moldau, eines der ärmsten Länder Europas mit einem Pro-Kopf-BIP von knapp 6.000 Euro, litt unter den Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie, der Flüchtlingswelle aus der Ukraine seit 2022 und einer akuten Energiekrise im Januar 2025, als Russland die Gaslieferungen in die abtrünnige Region Transnistrien stoppte und damit Blackouts sowie explodierende Preise auslöste. Die PAS-Regierung unter Premier Dorin Recean hatte Reformen gegen Korruption und für die Justiz vorangetrieben, etwa durch die Verhaftung prominenter Oligarchen wie Ilan Șor, der aus dem russischen Exil heraus mit Bestechungsgeldern von angeblich Millionen Dollar Wahlkämpfer finanzierte und EU-Sanktionen seit 2023 umgeht. Dennoch wurde die Partei für unvollendete Versprechen kritisiert. Trotz eines Wachstumsplans der EU im Wert von 1,9 Milliarden Euro für Infrastruktur und Energie blieb die Armut in ländlichen Gebieten hoch, die Inflation nagte am Alltag, und die Diaspora von über einer Million Moldauern im Ausland – vor allem in der EU – sehnte sich nach Stabilität. Umfragen zeigten die PAS zeitweise nur knapp vorne, mit 40 bis 45 Prozent, während prorussische Bündnisse wie der im Sommer 2025 gegründete „Patriotische Block“ aus der Partei der Sozialisten (PSRM) unter Ex-Präsident Igor Dodon und der Partei der Kommunisten (PCRM) unter Wladimir Woronin mit Versprechen günstigerer Energie und traditioneller Werte punkten wollten. Șors Șor-Partei, die 2024 vorübergehend verboten war, agierte im Untergrund und bot Demonstranten in Chișinău sogar 3.000 Dollar pro Monat für Proteste gegen Sandu. Die Hürden waren klar: Parteien brauchten 5 Prozent der Stimmen, Blöcke 7 Prozent, Unabhängige 2 Prozent, um ins 101 Sitze zählende Parlament einzuziehen, was kleinere Gruppen benachteiligte und die Polarisierung vertiefte.
Am Wahltag, einem sonnigen Sonntag, öffneten die rund 2.000 Wahllokale um 7 Uhr und schlossen um 21 Uhr, ergänzt durch 301 Auslandslokale in 41 Ländern, darunter 58 allein in Italien, wo viele Moldauer als Gastarbeiter leben. Die Beteiligung stieg auf 52,1 Prozent – höher als die 48 Prozent von 2021 –, was auf die immense Mobilisierung hindeutete, insbesondere unter der Diaspora, von der 264.000 Stimmen einliefen und tendenziell pro-europäisch ausfielen. Doch der Tag war alles andere als friedlich: Moldauische Behörden meldeten Dutzende Cyberangriffe auf die Website der Zentralen Wahlkommission (ZEK), falsche Bombendrohungen in Städten wie Rom, Brüssel und Bukarest, die das Wählen für Stunden unterbrachen, und illegale Transporte von Wählern zu Urnen, oft mit prorussischen Mitteln. Journalistische Undercover-Recherchen, etwa vom BBC World Service und der moldauischen Zeitung Ziarul de Gardă, enthüllten ein russisches Netzwerk aus Trollfabriken, das gefälschte Videos verbreitete – von angeblichen Skandalen um Sandu bis hin zu Behauptungen westlicher Wahlmanipulation. Russland wies alle Vorwürfe zurück und warf Chișinău vor, mit „westlichen Sponsoren“ von inneren Problemen abzulenken, doch die EU und NATO beobachteten angespannt, da Moldaus Kurs Auswirkungen auf die gesamte osteuropäische Flanke haben könnte. In Transnistrien, der russisch kontrollierten Separatistenregion mit 1.500 Soldaten Moskaus, durften Wähler mit moldauischem Pass abstimmen, was prorussische Stimmen einfließen ließ, aber die Behörden in Tiraspol kooperierten nur widerwillig.
Die ersten Ergebnisse, die in der Nacht eintrafen, zeichneten ein klares Bild: Bei einer Auszählung von über 99 Prozent der Stimmen holte die PAS unter Sandu 50,2 Prozent – ein starker Verlust gegenüber den 63 Prozent von 2021, doch genug für eine absolute Mehrheit von etwa 55 Sitzen im Parlament, was Koalitionen mit potenziell instabilen Partnern überflüssig macht. Der „Patriotische Block“ landete abgeschlagen auf 24,2 Prozent und damit rund 24 Sitzen, während kleinere pro-europäische oder neutrale Bündnisse wie der „Bloc Alternativa“ um Chișinău-Bürgermeister Ion Ceban die 5-Prozent-Hürde verfehlten und ihre Stimmen umverteilt wurden. Sandu feierte den Sieg als „historischen Triumph der Demokratie“ und betonte, die Moldauer hätten „trotz aller Angriffe“ für EU, Frieden und Entwicklung gestimmt, mit Zielen wie der Verdopplung der Exporte bis 2028 und 3.000 Kilometern neuer Straßen. Ex-Präsident Dodon, der noch vor Schließung der Urnen den Sieg proklamierte, protestierte vor der ZEK und rief zu Kundgebungen am Montag auf, warf dem Westen Betrug vor und mobilisierte Anhänger mit Dutzenden vor dem Parlamentsgebäude – doch die Behörden rechneten mit Unruhen und setzten auf Deeskalation. Internationale Beobachter, darunter aus der OSZE, lobten die Integrität der Abstimmung trotz Störungen, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte postwendend: „Wir stehen an eurer Seite auf jedem Schritt!“ Ähnlich feierten Führer wie Polens Donald Tusk oder Frankreichs Emmanuel Macron den Ausgang als Signal gegen russische Einflussnahme in der Region.
Insgesamt festigen diese Wahlen Moldaus pro-europäischen Kurs, der durch Sandus Wiederwahl 2024 und das EU-Referendum bereits gestützt wurde, und ebnen den Weg für Beitrittsverhandlungen bis 2030, inklusive Reformen gegen Korruption und für Energieunabhängigkeit von Russland. Dennoch bleibt die Lage prekär: Die prorussische Opposition, gestärkt durch Dodons und Șors Netzwerke, könnte durch Gerichtsstreitigkeiten oder Straßenproteste die Regierung behindern, und die wirtschaftliche Erholung hängt von EU-Hilfen ab, die nun wahrscheinlicher werden. Für die Moldauer, die in Dörfern und Städten wie Chișinău um Wohlstand und Identität ringen, bedeutet der Sieg eine Atempause – ein Funke Hoffnung in einem Land, das zwischen Ost und West balanciert und dessen Zukunft Europa prägt, sofern die Demokratie den russischen Schatten abwehrt. Die nächsten Monate werden zeigen, ob diese Mehrheit zu greifbaren Veränderungen führt oder ob die Spaltungen tiefer werden, doch eines ist klar, Moldau hat mit diesem Urnengang bewiesen, dass es trotz aller Widrigkeiten seinen eigenen Weg wählen kann.
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