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Am Bahnhof und wieder Thilo Sarrazin

Halbzeit in Bremen

Nur einen kurzen Weg entfernt von der Feuerwache, auf dem Bahnhofsvorplatz, sammelt sich eine schier unüberschaubare Menge von Personen, die sich vor den provisorisch, schnell installierten, karitativen Küchen anstellen.

 

 Tramstation Bremen Hauptbahnhof, kasaan media, 2010

  DSC01369 Medium

 

Rangeleien an der Suppenküche , kasaan media, 2010 

Zahlreiche Drogensüchtige, einfach arme Menschen, einige Obdachlose und andere, die durch das soziale Netz, der sich immer weiter verschärfenden Gesetzgebung, gefallen sind. Schiere, über Stunden im Alkoholexzess aufgestaute Aggressionen, die diese Menschen verständlicherweise einmal loswerden müssen, gipfeln in gegenseitigen Rangelleien und wüsten Beschimpfungen. Es wird Suppe ausgeschenkt, es werden auch belegte Brote und Obst angeboten. Entlang der Straßenbahnlinien, die nur ein paar Meter weiter verlaufen. Die mildtätige Hilfe jedoch kommt gut an, sie sind auch darauf angewiesen sind. Die versammelte Menge an der Suppenküche verteilt sich. Einer spricht mich an.
„Was machst du da?“, fragt er, will für einen Fünf-Euro-Schein ein Interview haben.

 

 

„Die Gesellschaft hat den Raubtierkapitalismus der letzten Jahre erfunden und wir sind verloren!“, geht er weiter, als wir ihm kein Geld geben.
Es hat sich Subkultur der Armut der ersten, sonst so reichen Welt gebildet.

Zum Gespräch findet sich niemand mehr.

Am Taxistand

Drei Iraner sprechen über das größte Glück in Frieden zu leben dürfen. „Hier in Deutschland!“, lachen sie in die Kamera. Die kultig wirkenden Taxifahrer verfluchen die Zustände in ihrer Heimat in Teheran.

 

 

Sie finden das Buch, das Tilo Sarrazin geschrieben, hat oberflächlich, er hätte sich besser mal mit Mahmud Ahmadineschād beschäftigen sollen. Betonen immer wieder, dass das große, vorgelebte Unglück ihres Lebens Achmadinedschad ist, und dass dieser Herr weiter als Staatspräsident im Iran fungiert, existiert und weiter regiert. „Alle Menschen, die den Frieden lieben, die Freiheit suchen, finden Europa gut. Aber es ist nur ein Europa der drei Länder Frankreich, Deutschland, England.“

„Rumänien sicher nicht!“, witzelt einer der Chauffeure.
„Mehr gehören sowieso nicht dazu. Die anderen wären nur noch in der Währungsunion in Euro – Land. Und überhaupt regiert Angela Merkel sowieso Europa.
„Wer auch sonst?“, fragt mich einer der Fahrer sarkastisch.

Der Wachmann Thorsten weiß nicht so recht, was er sagen soll. Er findet Europa ganz gut, aber nicht im Augenblick:
„Vielleicht später! Augenblicklich wird die wirtschaftliche Lage ja besser. Sein größtes Glück ist sein Kind. Aber er sieht es nicht oft, und im Übrigen aufwendigsten Job und dafür bekommt wirklich wenig Lohn. Thorsten befindet für sich, dass er ungerecht bezahlt wird. Wie ein Leiharbeiter. Er wünscht sich, dass alles wieder gerechter entlohnt wird, dass die Politik endlich mal wieder auf den kleinen Mann eingeht. Sarrazin sagt zwar wahre Dinge, aber völlig daneben!“ meint er. Es ist ja auch ein anderes Europa, das Sarrazin meint oder sieht. Das der Reichen.

 

Fünf Mädchen erzählen von ihrer Klassenkameradin, die kurz nach dem Abitur für ein Jahr nach Ecuador gegangen war und dort verstarb. Die Mutter der Verschiedenen bittet intensiver um Spenden für die behinderten Kinder in dem südamerikanischen Land. Sie finden das Buch von Sarrazin schwer einseitig. Eine der hübschen jungen Damen berichtet über einen türkischen Professor aus Berlin, der mit einer Deutschen zusammenlebt, das finden sie total normal. „Wie Sarrazin geschrieben hat, darüber bin ich geschockt!“, meint die eine. Die fünf Mädchen sammeln mit selbst gebackenem Kuchen und Teilchen für die Initiative behinderter Kinder in Ecuador, vertreiben diesen auf einem mitgebrachten Tapeziertisch, sitzen dort auch bei durchaus kühlem Wetter.

Kuchen für Ecuador, kasaan media, 2010

Ein Stück weiter meint ein deutscher Taxifahrer: „Sarrazin hat schon richtige Sachen geschrieben. Die Deutschen können nicht alles übernehmen, aber es ist viel zu krass geschrieben!“ 

Das Geschäft läuft nicht so gut, warum sollte auch laufen?“
Sein Kollege will von der ganzen Sache nichts wissen, will von Europa nichts wissen von den Menschen in Europa.
„Die Geschäfte sind gut!“, sagt die zufriedene Tabakverkäuferin.
„Europa ist solange gut, wie es mir persönlich gut geht!“

 

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